Leiden und Leidenschaft heißt
die Devise. Für Jonas Kaufmann gibt es auf seiner neuen Solo-CD „Verismo
Arias" keine interpretatorischen Kompromisse. Der Tenor stürzt sich
regelrecht mit schonungsloser Vehemenz in die Gefühlsausbrüche und das
Seelenleben von Typen am Rande des Wahnsinns. Kaufmann hatte, wie er im
persönlichen Gespräch verrät, bis zum Schluss noch mehrere Titel in der
Auswahl gehabt, Verismo ohne Puccini lautete die Devise. „Ich konnte
mich zunächst gar nicht entscheiden, aber jetzt bin ich sehr glücklich,
weil die letztendlich ausgewählten Arien doch ordentliche Brocken sind.
Ich habe das Programm mit Antonio Pappano in Rom aufgenommen. Wir hatten
einen Heidenspaß dabei, solch mitreißende Musik zu spielen. Es war
wirklich ein Fest! Wir haben uns fast jeden Abend ausgeschüttet vor
Lachen, wenn wir die Sachen anschließend abgehört haben. Hier konnte man
dem Affen so richtig Zucker geben, ohne über das Ziel hinausgeschossen
zu sein. Ich bemühe mich immer sehr, im Rahmen zu bleiben, aber es macht
gerade für einen Deutschen wirklich Spaß, auch einmal „die Sau raus zu
lassen“', nicht zu brav zu agieren. Das war hier gut möglich."
In der Tat,
die ausgewählten Stücke haben es in sich. Das CD-Programm vermeidet
Beliebigkeit, eher unbekannte Arien bestehen markant neben berühmten
Meilensteinen. Da Puccinis Werke bewusst außen vor bleiben, vermittelt
sich die Verismo-Stimmung ungeschminkt und in teilweise herbem Charme.
Zu den Höhepunkten gehört explizit das Porträt von Mascagnis Turiddu aus
der »Cavalleria«. Kaufmann genießt hier den Duft prall leichtsinniger
Lebensfreude im „Viva il vino spumeggiante", winselt im „Mamma, quel
vino e generoso" mit weinerlichem Entsetzen um Vergebung und wird in den
letzten Tönen tatsächlich noch erwachsen - ein Macho-Charakter in
sizilianisch schillernden Farben.
Der Tenor
bevorzugt zwar die Unmittelbarkeit der Bühne, konnte sich aber, wie er
selbst beteuert, in diesem konkreten Fall sehr einfach in die jeweiligen
Stimmungen und Emotionsballungen einfühlen: „Die Orchesterbegleitungen
bei diesen Stücken sind so unglaublich energiegeladen und emotional,
dass man sehr leicht hineingleitet. Es ist einfach packend, wenn man ein
Stück aus »Pagliacci« macht; das reißt unmittelbar mit." Wie einen
enthemmten Verzweiflungsschrei konzipiert denn Kaufmann auch dramatisch
ausgereizt Canios unsterbliches „Vesti la giubba" - ohne tatsächlich zu
schreien. Da reichen eine hart überzeichnete Aussprache der Konsonanten,
eine gradlinig strömende Klangfülle und expressiv kurze Portamenti.
Attacke,
Ruhe oder Ekstase der Musik im Kontext zur jeweiligen Oper bestimmen die
subtile Tonformung, die Kaufmann ausschließlich mit seinen
unverkennbaren stimmlichen Markenzeichen gestaltet; einem baritonal
gefärbten, kernig männlichen Timbre, einer heldischer gewordenen
Strahlkraft und vor allem mit einer effektreich flexiblen, eigenwilligen
Pianokultur. Problemlos weich zieht er Töne aus stählernem Forte in die
zarte hohe Kopfstimme zurück, dynamische Registerwechsel gelingen ohne
Brüche, das souveräne Mezzavoce dient nicht zum Schöngesang, sondern als
Emotionsventil und vermittelt hoffende Innigkeit („Dai campi, dai prati"
aus Boitos »Mefistofele«), fahle Depression (Lamento von Federico aus
Cileas »L‘Arlesiana«) oder gebrochene blanke Trauer wie in Zandonais
erschütterndem „Giulietta! Son io!" - Kaufmanns persönlichem
Lieblingsstück in dieser Sammlung: „ich kannte das vorher gar nicht,
eine echte Entdeckung für mich. Traumhaft schön!" Das Orchester der
Accademia Nazionale di Santa Cecilia unter der Leitung von Antonio
Pappano trägt den Sänger hierbei auf Händen, powert mit Hingabe und
bettet ihn zugleich auf Rosen - eine temperamentvoll beglückende
Symbiose.
Auf das
noch fern geplante Debüt als Andrea Chenier zielen in mitreißender
Romantik „Un di all'azzurro spazio" und „Come un bel di di maggio" und
gemeinsam mit der bezaubernden Eva-Maria Westbroek wird das
emotionsstarke Schlussduett von Chenier und Maddalena in Gänsehaut
provozierendem Enthusiasmus mit herrlichem Schwelgen in ekstatischen
Melodien zelebriert. Das wirkt - auch wenn Kaufmann hier stellenweise
mit dem Kopf durch die Wand will. Im Gegensatz zu dieser Power nimmt das
„Ombra di nube" von Licinio Refice fast eine Sonderstellung ein,
schlicht und schwebend gesungen wie ein Kinderlied, mit Kern auf Linie
in gefühlvoller Ruhe. Insgesamt ein individuell geprägter,
ausdrucksstarker Sampler, kein immer lehrbuchmäßiger Verismo-Stil, aber
eindeutig Kaufmanns bisher ehrlichste und authentischste Opernarien-CD.
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