Codex Flores, 10.07.09
(wb)
 
Kaufmann und die deutsche Romantik
Früher mal hätte die CD, die der Tenor Jonas Kaufmann als zweites Solo-Album vorlegt, möglicherweise Polemik provoziert – da wird mit Versatzstücken deutschen Selbstverständnisses gespielt, die unter Umständen Unbehagen ausgelöst hätten: Die Silberscheibe bringt bereits im Titel – «Sehnsucht» – ein angeblich urdeutsches Heimatgefühl zum Ausdruck, und der Booklet-Text ist mit «Jonas Kaufmann – der deutsche Tenor» (unsere Kursivsetzung) übertitelt. Der Klappentext erinnert überdies an Fritz Wunderlich, der vielleicht insofern gar nicht typisch deutsch gewesen sei, als er «immer sein ganzes Herz in seine Stimme legte», zitiert er Kaufmann. Auch Kaufmanns Einschätzung einer vermeintlichen Blendung in Wunderlichs Kunst mutet typisch deutsch an. Wunderlich habe gelernt, erklärt Kaufmann, die Stimme so zu kontrollieren, dass «die Leute darauf schwören könnten, dass man wirklich und wahrhaftig so empfindet.» Damit wolle man nicht nur das Publikum beeindrucken – es erscheine vielmehr als echt (kursiv im Original). Kunst als distanzierte, dem spontanen Impuls misstrauende Künstlichkeit, die sich gerade dadurch ihre Dauerhaftigkeit sichert. Unwillkürlich drängt sich da Kaufmanns Kollege Rolando Villazón als Alter Ego auf, als Gegenfigur, die – dem Klischee lateinischer Emotionalität folgend – inneres Feuer vor Technik stellt und sich dabei prompt vor der Zeit auszuzehren scheint.

Kaufmann präsentiert das volle Programm des deutsch-romantischen Gefühlsgenies, von Mozarts Tamino über Beethovens Florestan (den er für relativ eindimensional hält) und die schubertschen Biedermeier-Helden bis zum «reinen Tor» Parsifal des wagnerschen Sagen-Universums. Auf dem Cover der CD posiert Kaufmann in der Manier von Caspar David Friedrichs Wanderer über dem Nebelmeer. Dem kontemplativen Tableau bricht er allerdings die Pointe, indem er als Porträtierter dem Betrachter nicht wie im Original in verinnerlichter Weltabgewandheit den Rücken zukehrt, sondern sich uns in «Kauf mich»-Pose zuwendet und die Szene damit platt entzaubert.

Keiner allerdings würde ein solches Album heute als deutschtümelndes Bekenntniswerk verstehen, vielmehr fasst man es im Nachgang zur Postmoderne automatisch als Spiel mit den Versatzstücken des Topos' auf. Im globalisierten Konzert- und Opernbusiness, in dem Tenöre vom Schlag eines Domingo, Villazón, Florez, Cura oder Alagna den Takt vorgeben, gilt es offenbar, ein vermarktungsfähiges nordländisches Gegenbild zum Latin Lover aufzubauen.

Ein Gegenbild allerdings, dem interpretatorisch auch etwas Nivellierendes eigen ist: Sie werden in dieser Tour d'horizon eingeebnet, die unterschiedlichen ästhetischen Welten, in welche die Klänge Mozarts, Beethovens, Schuberts und Wagners eingebettet sind – ungeachtet der immer ausdifferenzierteren historisch-kritischen Interpretationskunst der letzten Jahrzehnte, die ihnen mittlerweile ausgeprägte individuelle Konturen verliehen haben.

Die nicht chronologisch, sondern dramaturgisch motivierte Zusammenstellung der Arien gewinnt dadurch aber auch etwas: Sie modelliert eine Art «Big Picture», ein virtuelles romantisches Entwicklungsdrama, das mit Lohengrin von Sehnsucht und Aufbruch ins Ferne Land erzählt («Mein lieber Schwan!») und über die Prüfungen Taminos und Florestans Kerker-Martyrium bis zu Parsifals Grals-Fund führt («Zunehmende Dämmerung in der Tiefe, bei wachsendem Lichtschein in der Höhe»), Partien denen Kaufmanns warme und wendige Stimme allen irgendwie gerecht wird, ohne je die ästhetische Distanz zu verlieren. Das Mahler Chamber Orchestra unter der Stabführung von Claudio Abbado errichtet ihm dazu auf hohem Niveau routiniert die Klangkulisse. (wb)






 
 
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