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News.de, 12.06.2009 |
Claudia Arthen |
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Die Sehnsuchts-Scheibe klingt wie ein Versprechen
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Zum 60. Geburtstag der Bundesrepublik trat Jonas Kaufmann mit Beethovens
Neunter vor dem Brandenburger Tor auf. Jetzt legt der von der Fachwelt und
vom Publikum umschwärmte Tenor ein Album mit Werken deutschsprachiger
Komponisten nach.
Endlich wissen wir, wie der Wanderer über dem Nebelmeer von vorn aussieht.
Im feschen Gehrock posiert ein gutaussehender Mann mit Dreitagebart und
Wuschelkopf nun statt des großen Unbekannten in - oder besser vor Caspar
David Friedrichs Inbegriff romantischer Malerei. Poetisch soll dieses Bild
aus dem Booklet sein, den Titel Sehnsucht der neuen CD illustrieren. Ob man
das nun komisch, kitschig oder peinlich findet: Die Platte sticht ins Auge -
und geht ins Ohr.
Der Mann auf dem Cover heißt Jonas Kaufmann - ein gebürtiger Münchner und
einstiger Mathematikstudent, der mit Frau und drei Kindern in Zürich lebt
und jetzt mit knapp 40 Jahren so richtig durchstartet. Die großen
Opernhäuser der Welt reißen sich um ihn, Musikjournalisten bezeichnen ihn
als den «vermutlich größten deutschen Tenor der letzten Jahrhunderthälfte»
(The Guardian) und schwärmen von seinem Aussehen und seiner «Lässigkeit
eines Rockstars» (New York Magazine). Die russische Sopranistin Anna
Netrebko und die rumänische Sängerin Angela Gheorghiu haben den smarten
Tenor mit Vorliebe an ihrer Seite. 2010 singt er Richard Wagners Lohengrin
in Bayreuth. Und auf der Sehnsuchts-Scheibe bekommt man die ersten Happen
des Gralsritters serviert: In fernem Land und Mein lieber Schwan.
Beide Arien sind Werke, die Musikexperten zu kennen meinen. Aber so wie
Kaufmann sie singt und wie das Mahler Chamber Orchestra unter der Leitung
von Claudio Abbado sie spielen, erscheinen sie vollkommen neu. Denn Kaufmann
fällt mit seiner Interpretation aus der Stimmtradition dieses
italienischsten der deutschen Helden heraus. Wo sonst gern der
lyrisch-ätherische Ton vorherrscht, ist Kaufmanns Schwanenritter ein Recke
von dieser Welt. Die Piano-Strecken der Gralserzählung driften nicht ins
künstelnde bis selbstverliebte Säuseln, sind klanglich geerdet, die
Schlusssteigerung gelingt imponierend: ein Held, dem man den zärtlichen
Lover und die mögliche Anführerrolle der deutschen Truppen gegen «des Osten
Hordens» abnimmt.
Am besten liegt Kaufmann jedoch die selbstquälerische Verzweiflungsgebärde
von Wagners Parsifal, die zu kraftvollen, strahlkräftigen Ausbrüchen
einlädt. Auch Siegmunds Winterstürme stehen dem baritonalen Timbre von
Kaufmanns Stimme gut. Den Tamino kann man als Nostalgietrip zu Kaufmanns
Mozart-Anfängen einstufen - und als Reminiszenz an den legendären Tenor
Fritz Wunderlich (1930-1966), den Kaufmann verehrt - vor allem für seine
Gabe, das Publikum mit Stimme und Ausdruck in den Bann zu ziehen.
Doch im Gegensatz zu Wunderlich hat Kaufmann eine Tenorstimme, die in der
Tiefe manchen Bässen Konkurrenz machen könnte. «Dunkel» nennen einige diesen
Klang und umschreiben damit ungewollt ein Problem des Startenors, das sich
auch auf dem aktuellen Album niederschlägt und besonders bei Franz Schuberts
Fierrabras oder dem Ausschnitt aus seiner noch unbekannteren Oper Alfonso
und Estrella zum Vorschein kommt: der kehlige Ton. Ein Zeichen von
Überforderung?
Dass Kaufmann aber einbrechen könnte wie sein Kollege Rolando Villazón, der
nun wegen einer Stimmbandoperation für längere Zeit schweigen muss, darum
muss man sich wohl keine Sorgen machen. Als Villazón vergangenen Sommer eine
Gala mit Netrebko absagen musste, sollte Kaufmann seinen Part übernehmen.
Doch der lehnte ab, weil er gerade in München sang und seine CD aufnahm.
Kaufmann weiß, wo seine Grenzen liegen. Im Booklet der Sehnsuchts-CD bekennt
er sympathisch ehrlich, dass die großen dramatischen Wagnerrollen «noch in
weiter Zukunft» liegen. Man wird also noch eine Zeitlang auf Siegfried,
Tristan und Tannhäuser warten müssen. Das jetzt vorgelegte Album klingt aber
wie ein Versprechen, dass der Weg dorthin gelingen kann. |
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