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Die Zeit, 1.2.2008 |
Von Christine Lemke-Matwey |
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Der Latin Lover von der Leopoldstraße
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Auch singende Männer müssen schön sein: Warum
der Tenor Jonas Kaufmann mit seinen »Romantic Arias« die Charts stürmt. |
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Die Gleichstellungsbeauftragten des Musikbetriebs dürfen aufatmen. Nicht nur
bei Anna Netrebko oder Nicole Cabell spielt das Äußere eine, zaghaft
ausgedrückt, wesentliche Rolle, nein, auch Juan Diego Flórez und José Cura
hätten, sähen sie aus wie die Glöckner von Notre- Dame, niemals diese
strassfunkelnden Karrieren hingelegt. Auch Mann muss also »schön« sein, und
das heißt: fotogen, um sich als Sänger durchzusetzen. Für eine neuerliche
Bestätigung dieses ausgeleierten Marktklischees sorgt jetzt die Debüt-CD
Romantic Arias des deutschen Tenors Jonas Kaufmann, die binnen einer Woche
in den Amazon-Charts auf Platz eins schnellte. Die Begründungen dafür sind
rasch gefunden. Weil der 39-Jährige mit Puccinis Rodolfo und Webers Max, mit
Verdis Alfredo, Wagners Stolzing und Massenets Werther ein ebenso
schlagerseliges wie breit sich spreizendes Repertoire auffährt; weil das
sogenannte Romantische irgendwie immer zündet; und weil Kaufmann natürlich
nicht von ungefähr gefragt wird, wo in bella Italia seine Eltern ihre
Pizzeria betrieben: schwarze Locken, Zweitagebart, Blendax-Lächeln – die
Inkarnation eines Latin Lovers von der Münchner Leopoldstraße.
Freimütig berichtet Kaufmann in Interviews, dass er sich auf seiner
jugendlichen Ochsentour zwischen Saarbrücken und Klagenfurt noch eines ganz
anderen »leichten« und »typisch deutschen« Klangs bedient habe. Heute
hingegen, in London, Mailand oder an der Met, sänge er wie »unter der
Dusche«. Und genau da liegt das Problem. Denn mit dem vollen Rohr allein ist
es weder stimmlich noch stilistisch getan. Kaufmann mag Kraft haben und ein
emphatisches, viriles Timbre, auch freut einen seine Freude am Singen. Das
meckernde Vibrato jedoch, die aufgeblähte mezza voce, mit der er sich um
fast jedes Piano herummogelt, seine notorisch eingedunkelten Vokale, der
knödelige Ansatz, der den Tenor voluminöser machen soll, als er ist – all
dies schürt den Verdacht, dass diese Stimme das ihr gemäße Fach noch nicht
gefunden hat. Mal über-, mal unterfordert, bald zu schwerfällig und breit,
bald kolossal angestrengt: So wird vorerst wohl nichts aus dem
Hintergedanken der Plattenfirma Universal, Jonas Kaufmann als eine Art
siamesischen Zwilling für den stimmlich leider angezählten Rolando Villazon
einzuführen. Anna allein zu Haus? Das werden die Strategen verhindern.
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