Wiener Zeitung, 23.06.2020
Christoph Irrgeher
 
„Jonas Kaufmanns "Otello": Wüterich mit Herz
 
Verdis Werk ist der bekannte Blackfacing-Fall der Oper. Die neue Audio-Aufnahme umgeht das Problem und ist ein seltenes Glück.
 
Seit dem Siegeszug der Political Correctness steht die Opernwelt vor einem Dilemma: Wie soll man Verdis "Otello" spielen? Wie bisher mit dunkler Schminke für den "Mohr"? Das würde an "Blackfacing" erinnern, also an die rassistische Karikatur eines Schwarzen auf der Bühne. Oder ohne dunklen Teint? Dann droht sich die Kernspannung des Dramas zu verlieren. Es ist ja nicht nur seine Herkunft, die Otello von der italienischen Oberschicht abtrennt, sondern auch sein sichtbares Anders-Sein. Das speist seine Angst vor Verrat, und dieses Gefühl reißt ihn ins Verderben: Angestachelt von Jagos Intrigen, mutiert der Kriegsheld zum Eifersuchtsmörder und läuft sich am Ende selbst ins Messer.

Die Frage nach einer ethnisch feinfühligen Bühnen-Lösung erübrigt sich allerdings in einem Fall - wenn man den "Otello" nämlich in einem Tonstudio aufnimmt, also eine Operneinspielung im klassischen Sinn produziert. Ja, gibt es so etwas denn überhaupt noch? Die darbende Plattenbranche ist von solch teuren Projekten mehr und mehr abgekommen. Für Jonas Kaufmann hat sich aber eine Ausnahme aufgetan. Seit zwei Wochen liegt ein neuer "Otello" im Plattenregal, der zur Gänze im Studio entstanden ist und die Handlung auch hier und da mit den nötigen Begleitgeräuschen illustriert. Böllerkanone, Säbelgeklirr, Glockengeläut - alles da, wie auf guten alten Opernplatten. Es ist fast so unzeitgemäß wie die Rückkehr des Autokinos in den Vormonaten.

Anlass für die CD war freilich der Star im Zentrum. Käme es zu einer Neuauflage der "Drei Tenöre", das Triumvirat hieße heut Juan Diego Flórez, Piotr Beczała und Kaufmann. Wobei Letzterer gern zum "Tenorissimo" erhoben wird, da seine Honigtöne ihresgleichen suchen.

Fragt sich nur: Kann so eine Stimme auch einen Amokläufer verkörpern? Im Fall der Aufnahme lautet die Antwort, verkürzt gesagt: ja. Kaufmann hat sich Gedanken über Otellos Verfall vom Machtmenschen zum Monstrum, vom Liebesglückspilz zum Frauenwürger gemacht. Dabei ist es wohl auch dem Aufnahmezeitraum von 14 Tagen zu verdanken, dass er seine Farbenpalette so abgestuft zum Einsatz bringen kann. Der deutsche Tenor verwandelt nicht nur Liebesschwüre in karamellige Kantilenen und Befehle in schroffe Attacken. Der 50-Jährige mengt seinem Klang auch psychologischen Ausdruck bei, und das kann sich durchaus subtil gestalten. Etwa, wenn die Eifersucht Otellos Ehealltag allmählich eintrübt und Desdemona im dritten Akt eine Drohung zu hören bekommt. Kaufmann singt dieses "Wehe" nicht etwa distanziert, sondern in einem trügerisch sanften, sarkastischen Liebestonfall. Ein Schönklang, der das Blut gefrieren lässt. Das entschädigt für die kleinen Problemzonen: Otellos Wutanfälle führen Kaufmann hie und da in ein Grenzgebiet, in dem eine vokale Überspanntheit den Ton zu zerreißen droht.

An den Begleitern ist nichts auszusetzen: Carlos Alvarez verleiht dem Jago eine überraschende Geschmeidigkeit, Liparit Avetisyan dem Cassio leuchtende Frische und Federica Lombardi den Legatolinien Desdemonas engelhafte Anmut. Antonio Pappano beweist am Dirigentenpult (Accademia Nazionale di Santa Cecilia) immer wieder seine Lust, das Lautstärkenpedal voll durchzutreten, überfährt die Sänger aber nicht mit diesen Klangmassen - wohl auch deshalb nicht, weil sich die Balancen bei einer Opernaufnahme am Mischpult regeln lassen. Ein seltenes Glück.














 
 
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