Online Merker, 02.06.2020
Dr. Ingobert Waltenberger
 
CD GIUSEPPE VERDI: OTELLO – JONAS KAUFMANN, FEDERICA LOMBARDI, CARLOS ALVAREZ; SONY
 
Der derzeit wohl beste Otello in einem intensiv selbstverzehrenden Rollenporträt, aufwühlend-exquisitem Orchester und bloß routiniert wirkender Restbesetzung

2004 in Paris war Galouzine der Otello und Jonas Kaufmann der jugendliche, in jeder Hinsicht glaubwürdige Cassio. Man verstand, warum Jago bei Otello leichtes Spiel hatte, seine tödliche Eifersuchtsintrige in Gang zu setzen. Schon 2001 hatte Kaufmann den Cassio in Chicago gesungen, an der Seite von Ben Heppner, Renée Fleming und Lucio Gallo. Im Verdi-Album 2013 wagte sich Kaufmann erstmals an zwei Szenen aus Otello heran. Im Juni 2017 war es dann soweit: Jonas Kaufmann wuchtete diesen Mount Everest der italienischen Tenor-Opernliteratur auf die Bühne von Covent Garden und setzte sich damit mutig nicht leicht zu egalisierenden historischen Vergleichen aus. Schon damals unter Antonio Pappano mit einem leider stimmlich unsteten Jago und einer höhenlastigen, insgesamt zu lyrischen Desdemona. Der Mitschnitt aus dem Royal Opera House Covent Garden ist als DVD und Blu-ray erhältlich. Der Grundton der medialen Berichterstattung war damals kritisch wohlwollend, wies aber auch auf die stimmlichen Grenzen des Tenors hin.

Im Juni/Juli 2019 gingen Pappano und Kaufmann mit Otello in Rom ins Studio Auditorium Parco della Musica. Fast 60 Jahre, nachdem zuletzt in der ewigen Stadt eine der legendärsten und besten Otello-Gesamtaufnahmen der Schallplattengeschichte entstanden ist, mit Jon Vickers, Leonie Rysanek, Tito Gobbi, Florindo Andreolli, dem Orchestra del Teatro dell’Opera di Roma unter Tullio Serafin.

Jonas Kaufmann ist im Vergleich zu seinem Rollendebüt in London hörbar gereift, als Charakter härter und stimmlich stählerner geworden. Wir hören ein gestandenes Mannsbild, der um die Fallstricke des Lebens weiß und ihnen doch erliegt. Otello als einen tragisch in sich und seinen Zwängen Befangenen, einen mächtig bis zur Selbstzerfleischung mit sich Ringenden, der seiner Paranoia wegen seine große Leidenschaft zu Desdemona in den Dreck schleudert und seinem Wahn final mit dem Schwert den Garaus macht. Der Hörer hat das Gefühl, dass die Brutalität von Kaufmanns Interpretation in einen unerbittlichen Sog mündet. Das pathologische Delirium an Eifersucht richtet ein grausames inneres Zerstörungswerk an und foltert den Titelhelden in seiner an masochistische Perversion grenzenden Blindheit selbst bis aufs Blut. Desdemonas Tod wirkt dabei (“nur”) wie ein Kollateralschaden.

Es sei nicht verschwiegen, dass Kaufmann für den gefürchteten Auftritt im ersten Akt alle Reserven mobilisieren muss und die ungeheure Intensität, die Unbedingtheit, mit der sich der Sänger in die Rolle stürzt, ihn einiges an wärmeren Stimmfarben und Nuancen kostet. Dafür sind vor allem die Szenen mit Jago von einer dunklen, existenziellen Glut erfüllt, die an Ramon Vinay denken lassen. Im ergreifenden Schlussmonolog ist dieser Otello schon nicht mehr von dieser Welt.

Antonio Pappano leitet das fantastische, dramatisch auftrumpfende Orchester und den exzellenten Chor der Accademia Nazionale di Santa Cecilia. Federica Lombardi gibt ihr Rollendebüt als Desdemona und klingt in der Rolle trotz mancher stimmlicher Versprechen noch ziemlich grün. Carlos Álvarez ist ein erfahrener Jago, es gibt bereits Film-Mitschnitte dieser Rolle mit ihm aus Dresden und Salzburg. Auch wenn er insgesamt eher routiniert als mephistophelisch dämonisch wirkt, ist er dennoch Marco Vratogna, Kaufmanns Partner beim Londoner Rollendebüt, um Längen überlegen. Virginie Verrez als Emilia, Lipartit Avetisyan als wenig strahlender Cassio, Carlo Bosi als Roderigo, Riccardo Fassi als Lodovico haben bei mir allesamt keinen bleibenden Eindruck hinterlassen. Die Tonqualität ist rundum erstklassig.












 
 
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