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Opernwelt, Dezember 2009 |
Gerhart Persché |
Heldengeschichten
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Robust, energisch, süffig:
Jonas Kaufmann singt Schuberts «Die schöne Müllerin» |
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Er liebe, sagte der vor allem als Liedsänger bekannte Bariton
Christian Gerhaher kürzlich im Gespräch, an diesem Genre das
eher Abstrakte – «in dem Sinne, dass es nie ganz fassbar wird».
Lieder seien eben keine Kleinstopern. Vielmehr etwas, das sich
dem vollkommenen Begreifen schlussendlich entziehe. Oper
hingegen müsse erfasst, begriffen werden, sonst mache sie keinen
Sinn.
In dem erwähnten Gespräch war, das sei ausdrücklich betont,
nicht die Rede von Jonas Kaufmanns neuer Einspielung der
«Schönen Müllerin», die weder der Sänger noch der Verfasser zu
jenem Zeitpunkt gehört hatten. Indes, Gerhahers Bemerkung hätte
gut darauf gepasst. Denn Kaufmann gestaltet die Lieder dieses
Zyklus nicht so sehr als ein sich dem vollkommenen Begreifen
Entziehendes, sondern als fassbare Minidramen, in denen der
theatralische Gestus große Bedeutung erhält. Dabei ist es
keineswegs ein naives, aber doch ein romantisch-unmittelbares
Singen, wobei der Tenor durchaus differenziert agiert und den
Ambitus seiner vokalen Gestaltungsmittel vom klingenden Piano
bis zu heldischen Tönen überzeugend nützt.
«Die schöne Müllerin» hat freilich keinen Helden, mit dem man
sich ohne Weiteres identifizieren möchte. Vielmehr handelt es
sich offenbar um das Psychogramm eines von vornherein
Ausgeschlossenen, eines – volkstümlich formuliert – «Spinners»,
der sich eine Illusion aufbaut, die sich nie erfüllen kann (auch
von seinem sozialen Status her). Es gibt überhaupt keinen Grund
für die Annahme, die Müllerin, Tochter seines Arbeitgebers,
könnte ihm je angehören – was in den 25 Gedichten von Wilhelm
Müllers Zyklus noch klarer wird als in den zwanzig von Schubert
ausgewählten. In diesem Sinne haben vor allem Ian Bostridge,
Michael Schade, aber auch Christian Gerhaher und selbst der für
die vermeintlich äußerliche Schönheit seiner Interpretationen
von manchem eher herablassend beurteilte Fritz Wunderlich den
Zyklus aufgefasst. Kaufmann verweigert sich solcher Auslegung;
für ihn strotzt der Müllersbusch im ersten Teil «vor Energie und
Selbstvertrauen». Je besser es gelinge, dies zu vermitteln,
desto größer werde die Fallhöhe im zweiten.
So ist etwa «Mein!» bei ihm keineswegs eine Halluzination
vergeblich erträumter Liebe, sondern ein Ausbruch erotischer
Energie – wobei man auch an Nürnbergs Festwiese denken könnte,
an Stolzing, der nach gewonnenem Sängerwettstreit Eva Pogner in
die Arme schließt. Aber auch das abschließende, suizidale «Des
Baches Wiegenlied», von Kaufmann innig und mit schönem Mezzavoce
vorgetragen, hat bei ihm vom Tonfall her eher etwas von Brahms’
«Guten Abend, gut’ Nacht» als von jener «Lähmung, die man spürt,
wenn man in einen klaren, eiskalten Gebirgsbach steigt», wie
Michael Schade einmal formulierte. Auch scheint Kaufmann dem
Müllersburschen direkt aus dem romantischen Herzen zu singen –
eine unmittelbare Identifikation. Ein wenig denkt man bei diesem
Mitschnitt eines Münchner Konzerts vom Juli 2009 auch an die
Bemerkung Werner Oehlmanns (in Reclams Liedführer) zu Richard
Strauss, dieser sei der Schöpfer des den Applaus
herausfordernden «Podiums-Liedes»; mag sein, dass ich dabei
durch die Gedanken an das wirklich großartige Strauss-Recital
Jonas Kaufmanns von vor ein paar Jahren beeinflusst bin. Doch
scheint mir, dass seine Stimme für die viel konkreteren,
affirmativeren, eher opernhaften Lieder des Garmischer Meisters
die rechte, bessere Statur hat. Bei Schuberts Brüchigkeit wirkt
der direkte, «gesunde» Zugriff des Tenors weniger adäquat.
Helmut Deutsch trägt Kaufmanns theatralisch süffigen Tonfall
kongenial mit.
Schubert: Die schöne Müllerin.
Jonas Kaufmann, Tenor, Helmut Deutsch, Klavier.
Decca 478 1528 (CD); AD: 2009. |
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