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Der Tagesspiegel, 25.10.2009 |
Von Christine Lemke-Matwey |
Staunen übers Sterben
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Viril, doch zärtlich: Der Wagner-Tenor Jonas
Kaufmann singt Schuberts „Schöne Müllerin“ |
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Das eigentliche Wunder ist vielleicht, dass diese Stimme weder
sonderlich schön ist noch wirklich charakterstark – und dass man
ihr trotzdem 20 Lieder lang gebannt lauscht. Weil man wissen
will, wie es weitergeht mit Schuberts Müllerburschen, jenem
„armen weißen Mann“, der liebt und träumt und nicht erhört wird
und sich schließlich in den Mühlbach stürzt. Der Sog, den dieser
Zyklus entfacht (zumal in der Originallage!), ist gewaltig: Die
vielen offen-unoffenen Enden, diese Liedschlüsse, die nichts
anderes provozieren, als dass weitergesungen wird, immer weiter
und bis auf den Grund. Selten hat man das als so heftig
empfunden wie in diesem Konzertmitschnitt vom Juli 2009.
Und natürlich will man auch wissen, wie er’s macht: Jonas
Kaufmann, das aktuelle deutsche Tenorwunder, schwarze Locken,
superfotogen und gerade 40 Jahr alt geworden. Lyrisch oder
dramatisch? Mehr episch-distanziert à la Fischer-Dieskau oder
mit knietiefer Identifikation? Als Kaufmann diesen Sommer in
München sein „Lohengrin“-Debüt gab, hieß es lobend, er würde
Wagner wie Schubert singen, endlich einer, der das wagt. Mit
leisen Tönen und Mut zur romantischen Rhetorik statt des
inzwischen üblichen Rampengebrülls, mit Sinn für Sprache. Singt
Kaufmann Schubert nun wie Wagner?
Zunächst ist bemerkenswert, dass Kaufmann, der sich den Weg ins
schwerere Fach mit Geduld und Fleiß erarbeitet hat (lange bevor
die PR-Maschinistenen ihn als Braten rochen!), überhaupt Lieder
singt. Ein Peter Anders konnte das, Wunderlich hat sich die
Fähigkeit zum Spagat bewahrt, Schreier auf seine Art; René Kollo
aber oder Peter Seiffert schon nicht mehr. Der Wagner-Gesang, er
erfordert – hierin Kraftsportarten wie Gewichtheben oder
Kugelstoßen vergleichbar – breitere, stämmigere Muskeln
respektive Stimmbänder. Muskeln, die nicht mehr so flink
reagieren, wenn es um Farben geht, um Nuancen, ein mehr
ätherisches oder mehr anämisches Piano, um Übergänge, klingende
Konsonanten, die Leichtigkeit an sich. Liedersingen dient also
nicht zuletzt der persönlichen stimmlichen Hygiene.
Nein, Kaufmann singt Schubert nicht wie Wagner, dafür ist die
„Müllerin“ in ihrer Anmutung schlicht zu lieblich, zu jung
(Franz Schubert war 26, als er den Zyklus komponierte). Gerade
in den schnellen, forschen Liedern aber – „Am Feierabend“,
„Ungeduld“, „Mein!“ – profitiert Kaufmann sicher von seiner
Opernbiografie: Indem er sich voller Inbrunst und als müsste
er’s darstellen, ja spielen, in die Seelenqualen des liebend
Leidenden, Hoffenden, Jubelnden stürzt. Da scheut er sich nicht
vor so manchem gestemmten Forte und den leicht knödeligen,
hauchigen Tendenzen in seiner Kehle. Sein viriles, eher
baritonales Timbre verschafft ihm trotzdem die nötige Autorität.
Just diese Uneinheitlichkeit in der Tongebung aber macht
Kaufmanns Interpretation sympathisch. Hier sagt einer, wie es
ihm ums Herz ist, hier geht es nicht um Konzepte oder darum,
singend alles „richtig“ zu machen und aus einem Guss
anzufertigen (wie man es auf hohem Niveau bei Christoph
Prégardien oder Christian Gerhaher erleben kann). Die Erregung,
das Geworfensein zwischen „sie liebt mich“ und „sie liebt mich
nicht“ ist bei Kaufmann immer real, total, immer absolut. Sein
Müllerbursche weiß nicht um das bittere Ende, kennt keine
Enttäuschung, weiß nur, was er fühlt. Und als der Jäger die
Bühne betritt und die Müllerin mit ihrem „leichten losen kleinen
Flattersinn“ um sich buhlen lässt, da ist es um ihn geschehen.
Selbstmord im Affekt. Kein großes Transzendieren, selbst beim
letzten Vers nicht („und der Himmel da droben, wie ist er so
weit“). Eher Erschöpfung, eine ungekannte Mattigkeit, Staunen
übers eigene Sterben.
Man mag diesen Ansatz etwas diesseitig finden – Kaufmanns
Musikalität ist derart frappierend, dass man darüber wenig
nachdenkt. Er deklamiert nahezu perfekt und phrasiert mit einer
Natürlichkeit, dass einem alle Zweifel knöchern vorkommen und
klein. Das heißt nicht, dass die „Schöne Müllerin“ nicht auch
andere Dimensionen hätte, todessüchtigere, zweideutigere,
intellektuellere, die hier fehlen. Andererseits hat das Ringen
um letzte Worte schon so manchen Sänger die Stimme gekostet –
und so manchen Pianisten das Musizieren.
Bei Helmut Deutsch merkt man tiefe Vertrautheit mit dem
Notentext. Keine Strophe gleicht in seiner Begleitung der
anderen, jeder Akzent hat etwas zu erzählen, und gleich im
ersten Lied („Das Wandern ist des Müllers Lust“) tanzt das
Kopfsteinpflaster, rattern die Mühlräder, rauschen Wipfel und
Wasser, dass es eine Lust ist. Solche Lautmalereien allerdings
bergen leicht die Gefahr der Überinterpretation, und Deutsch
entgeht ihr nicht immer. Eine gewisse Aufdringlichkeit in der
Artikulation ist die Folge, ein Druck, der sich gern in
galoppierende Tempi entlädt („Der Jäger“).
Was bleibt, sind Lieder wie „Der Neugierige“, wo Kaufmann den
Atem anhält, um die Frage aller Fragen, deren Antwort er längst
kennt, nur ja nicht zu laut zu stellen, und Deutsch in
schwellenden, kreisenden Rubati den Puls beisteuert. Oder
„Trockene Blumen“: Als habe das Tränenwasser des Burschen alle
Farben und alles Leben aus der Musik gewaschen. Allein die
Phrase „Ihr Blümlein alle, wovon so nass?“, wie Kaufmann sie
hier singt, ganz unprätentiös, mit einem „a“ in „nass“, so weiß
und leer und doch zärtlich dabei, lohnt diese Aufnahme.
Sich solche Qualitäten allen Verlockungen und Fliehkräften des
(Wagner-)Marktes zum Trotz weiter zu bewahren, ist
wahrscheinlich eine Illusion. Jonas Kaufmann lässt uns ein paar
Schubert-Lieder lang daran glauben, dass es gehen könnte.
„Die schöne Müllerin“, Jonas Kaufmann, Helmut Deutsch (Decca). |
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