Der Neue Merker
Dr. Ingobert Waltenberger
 
GUSTAV MAHLER: DAS LIED VON DER ERDE
 
„Die liebe Erde allüberall blüht auf im Lenz und grünt aufs Neu! Allüberall und ewig blauen licht die Fernen! Ewig, ewig…“

Das Lied von der Erde wird üblicherweise von zwei Sängern interpretiert, einem Tenor und einem Mezzo bzw. Bariton. Jonas Kaufmann, der das Stück mit der Klemperer Aufnahme (Wunderlich, Ludwig) kennen und schätzen gelernt hat, hat sich die für hohe Stimme geschriebenen Teile dieses berührenden sinfonischen Liederzyklus‘ „Das Trinklied vom Jammer der Erde“, „Von der Jugend“, und „Der „Trunkene im Frühling“ längst in zahlreichen Aufführungen zu Eigen gemacht. Ich erinnere mich etwa an die (auch im Rundfunk übertragenen) Konzerte in Cleveland 2008 unter Franz Welser-Möst mit Christopher Maltman oder unter Claudio Abbado in Berlin mit Anne Sophie von Otter als Partnerin. Was anderen (heller timbrierten) Tenören schon von der Stimmfarbe her verwehrt ist, nämlich alle sechs Lieder ungeteilt zu singen, war ein Wagnis, auf das sich Kaufmann unter hervorragenden Bedingungen und zum richtigen Zeitpunkt eingelassen hat.

Im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins und den bestens disponierten, rauschhaft und unnachahmlich prächtig aufspielenden Wiener Philharmonikern unter der sensitiven Stabführung durch Jonathan Nott ist im Juni 2016 das neue Album entstanden, vielleicht Jonas Kaufmanns bislang bestes. Der in jüngster Zeit schwerpunktmäßig im italienischen Verismo beheimatete Sänger dürfte sich vom Ergebnis her in kaum einem anderen Genre heimischer und stimmlich „mehr bei sich“ fühlen, wie in diesem Lied von der Erde. Laut Kaufmann sind diese Lieder von der Erde Dialoge zwischen Orchester und Sänger, gleichberechtigt und ohne strikte Rollenverteilung. „Was der Sänger angefangen hat, wird oft vom Orchester weitergeführt und umgekehrt.“

Vom silbrig heldentenoral auftrumpfenden Trinklied über den elegischen Einsamen, dem heiteren Intermezzo Jugend, bis hin zur Betrachtung von und in Schönheit münden die Stationen dieses poetisch Einsamen trunken in den Abschied. Kaufmann gelingt es mit untrüglichem Klangsinn und in tausend Farben der zwischen Trauer und ekstatischem Aufbäumen geschundenen Seele ganz persönlichen Ausdruck und Würde zu verleihen. Eine „Unio mystica“ scheint Jonas Kaufmann mit Mahler, aber auch dem Klang der Wiener Philharmoniker zu verbinden. Dieses Lied von der Erde wird von Kaufmann nicht einfach nur gesungen, sondern in Tönen durchlebt. Dabei ist es schlicht stupend, wie die Stimme Kaufmanns sich von den Stratosphären des Beginns in voller Identifikation mit der „Rolle“ hin zu den samten baritonalen Tönen im Abschied wandelt. Renata Scotto hat Kaufmanns Stimme mit einem Cello verglichen. Diese Einschätzung bewahrheitet sich in keiner anderen Aufnahme Kaufmanns besser wie hier. „Ein vollendetes Experiment“ hat nach den Konzerten in Wien der „Kurier“ getitelt. Gewiss kann von einem Ausflug gesprochen werden, dem nicht alle folgen werden. Ich persönlich kann in dieser Interpretation so intensiv mitleben und soviel an emotionaler Dichte und fin-de-siècle Farbenpracht bestaunen, dass sich mir die akademische Frage nach der „Richtigkeit des Ob“ gar nicht stellt. Für mich ist Kaufmann damit jedenfalls auf dem besseren Weg als bei den Gassenhauern aus dem Album „Dolce Vita“.






 
 
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