Mit Richard Wagners 'Lohengrin' in einer Neuinszenierung von Richard
Jones wurden die Opernfestspiele der Bayerischen Staatsoper im Juli 2009
eröffnet. Zu behaupten, die Inszenierung sei umstritten gewesen, wäre
beinahe ein wenig euphemistisch, denn die meisten Kritiker lehnten die
Produktion rundweg ab. Die mystisch-mythische Dimension von Wagners Werk
werde verdiesseitigt, Lohengrin werde auf einen Häuslebauer reduziert
und Elsas Vision von Erlösung und Rettung gipfele in dem
kleinbürgerlichen Wunsch nach einem rustikalen Ikea-Einfamilienhaus.
Aber nicht nur in den Feuilletons, auch im Nationaltheater gab es
lautstarke Proteste gegen das Regieteam – und auch gegen das eher kühle
und distanzierte Dirigat von Kent Nagano; die Protestrufe wurden aus der
DVD, die in der Premierenserie aufgenommen worden ist, offenbar
verbannt.
Gewiss sind die Bilder, die Jones für seine
'Lohengrin'-Interpretation findet, zunächst gewöhnungs- und vor allem
interpretationsbedürftig, aber je tiefer man sich auf seine
mehrdimensionale Lesart einlässt, desto aufregender wird seine Deutung.
Während der Ouvertüre zum ersten Akt sieht man Elsa an einer
Zeichenstaffel ein Haus konstruieren – ein Einfamilienhaus, das dann
tatsächlich Akt für Akt auf der Bühne gebaut wird, im dritten Akt von
Elsa und ihrem Gatten bezogen und dann, nachdem Elsa die zerstörerische
Frage gestellt hat, von Lohengrin abgefackelt wird. Alles Glück ist
sinnfällig dahin. Das Haus – ein Symbol für den Wunsch nach einer heilen
Welt, nach Privatsphäre, Individualismus, Sicherheit und Geborgenheit –
kontrastiert Jones mit dem totalitären Regime, das in Brabant, das Jones
assoziativ im Deutschland der Dreißigerjahre ansiedelt, regiert.
Der Staat hat in Friedenszeiten hochgerüstet und will in den Krieg
ziehen. Martialisch, schmerzhaft roh und laut lässt Nagano den Chor im
dritten Akt die Kriegsrufe singen. Alles, was der Heerrufer sagt, wird
auf zwei runde Monitore übertragen, die oben an der Bühne aufgehängt
worden sind und die, wenn der Heerrufer eine Ansage macht, das Volk
regelmäßig erstarren lassen (leider ist dieser Effekt nicht so
eindrücklich auf der DVD festgehalten worden). Lohengrin erscheint
weniger als Retter aus einer anderen Welt, sondern als ein sympathischer
Mensch, der mit seinem blau-türkisfarbendem T-Shirt und seiner grauen
Jogginghose in auffälligem Kontrast zu den uniformierten Bürgern
Brabants steht. Als Zimmermann hilft er Elsa, ihren Traum vom
schützenden Haus zu verwirklichen und packt tatkräftig mit an. Dass er
über eine überirdische Macht verfügt, zeigt sich an Einzelheiten – an
der Art und Weise, wie er im ersten Akt mit Telramund kämpft oder daran,
dass er ihn im dritten Akt einfach mit einer gebieterischen Geste zu
Fall bringt. Auch sein Lebenstraum ist am Ende zerbrochen.
Weniger schlüssig ist in diesen Erzählstrang die Ortrud-Handlung
integriert. Vielleicht liegt es auch an deren Interpretin Michaela
Schuster, dass Ortruds dämonischer Wille zur Macht trotz auffällig
blond-arischer Perücke nicht adäquat ausgedrückt wird. Bis auf Schuster,
die mit unangenehm starkem, im dritten Akt gar schrillem Vibrato singt,
sind die Rollen gut bis ausgezeichnet besetzt. Allen voran Jonas
Kaufmann in seinem 'Lohengrin'-Debüt. Mit seiner natürliche Ausstrahlung
– man glaubt ihm den Zimmermann, die Liebe zu Elsa, die Verzweiflung –
und seiner kraftvollen, baritonalen, aber in den Höhen strahlenden und
beinahe italienisch geführten Stimme ist er eine Idealbesetzung für
diese Produktion. Als Elsa legt Anja Harteros die Partie eher
lyrisch an, ist aber auch zu beeindruckend starken Ausbrüchen in der
Lage, wenn auch die Textverständlichkeit darunter stets leidet. Wolfgang
Koch singt einen kraftvollen Telramund, Christof Fischmesser einen
vielleicht etwas blassen König Heinrich. Kent Nagano leitet das
Bayerische Staatsorchester kontrolliert. Manchmal würde man sich noch
mehr Schwung, mehr Emotionalität statt purer Lautstärke wünschen.
Der Klang der vorliegenden Aufnahme ist leider nicht immer
ausgewogen. Der Chor klingt oft hohl und eher aus dem Hintergrund,
selbst wenn die Damen und Herren nahe am Orchestergraben stehen. Auch
ist die Kameraführung nicht immer gelungen. Dass am Ende der Oper bei
den Wehrufen das Volk einen kollektiven Suizid begeht, bekommt man in
der Aufzeichnung kaum richtig mit. Auch würde man sich manchmal mehr
Ruhe in den Einstellungen wünschen. Wer bereit ist, sich mehrere Stunden
Wagners 'Lohengrin' auf DVD anzuschauen, braucht nicht alle paar
Sekunden einen Perspektivwechsel, um bei der Sache zu bleiben. Features
gibt es leider nicht.
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