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Opernglas, Juni 2010 |
B.Kempen |
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Kritik DVD "Lohengrin"
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Das
mit besonders großer Spannung erwartete Ereignis des vergangenen
Festspielsommers war für viele Opernfreunde das Lohengrin-Debüt von
Jonas Kaufmann in der Neuinszenierung von Richard Jones an der
Bayerischen Staatsoper. Wollten das Regie-Konzept und das Dirigat Kent
Naganos nicht jeden zwingend überzeugen, war man sich doch einig über
die grandiosen Leistungen des "Lohengrin"-Traumpaars Anja Harteros und
Jonas Kaufmann. Pünktlich zu Kaufmanns anstehendem Bayreuther
Schwanenritter-Debüt bringt Decca nun die DVD-Liveeinspielung dieses
Münchner Festpiel-Events und lässt teilhaben an einem spektakulären
Interpretationserlebnis, das eine neue Wagner-Generation auf höchstem
Niveau vorstellt.
Die Video-Regie von Karina Fibich stürzt sich mit Vehemenz auf die
Hauptvorteile, die eine Kamera-Aufzeichnung gegenüber einer im
Zuschauerraum miterlebten Opernaufführung hat: auf die Nähe zum
Geschehen, die Variationsmöglichkeiten von Blickwinkeln, das Lesen von
Gesichtern. Dadurch entwickelt sich im 1. Akt jedoch vorerst noch ein
eher konfuses Sammelsurium von Einstellungen. Die Inszenierung von
Richard Jones, seine Analyse von Deutschtümelei zwischen braven
Feuerzangenbowlen-Typen, zackigen Aufmärschen, fleißigem DDR-Sozialismus
und zünftigen Bayerntrachten, sortiert und deutet die Kameraführung
kaum, obwohl die Idee "Deutschland Träume sind eine ewige Baustelle" mit
Elsa als Steine schleppende Architektin und Lohengrin als Zimmermann auf
der Walz ja durchaus reizvoll ist und hier erhellend hätte bearbeitet
werden können. Auch die Orchester-Interpretation von Kent Nagano wird
kaum als eine von einer Dirigentenpersönlichkeit geprägte Werk-Analyse
wahrgenommen. Die Tonaufnahme präsentiert Orchesterklang und
Chorauftritte tatsächlich nur in stark reduziert ausgesteuerter Form.
Die Sängerstimmen hingegen scheinen mit Einzelmikrofonen verstärkt
worden zu sein, hört man hier doch vorerst nicht immer angenehm fast
jedes minimale Flackern und manches Anziehen der Töne. Was sich dann
jedoch im sich verdichtenden 2. und schließlich im selten so intensiv
erlebten 3. Akt daraus entwickelt, ist sternstundengleich, wird zum
großen Gefühlskino mit Klassiker-Charakter.
Anja Harteros und Jonas Kaufmann ist eine kerngesunde Stimmführung,
sinnlich tiefes Timbre, persönlichkeitsstark leuchtende Höhen und
optische Attraktivität gemeinsam. Ihre Darstellung bleibt schlicht und
natürlich ohne jede Form von überzeichnendem Operngestus. Das macht
sympathisch, da knistert es bei jedem Blick, bei jeder Berührung – hier
sind große Sänger und sensible Schauspieler zugleich am Werk, für die
Kamera ein inspirierendes Eldorado für Einstellungen voll Emotionen.
Alles zielt hin auf die Gralserzählung, von Kaufmann als Moment von
innigster Kostbarkeit durchlebt, vom Kamera-Fokus als Einblick in eine
tief unglückliche, großmütige Seele eingefangen.
Das weitere Ensemble weiß um die Vollkommenheit dieses hehren Paares
und initiiert deswegen keine Alternativveranstaltung. Wolfgang Koch, zu
Beginn noch stellenweise überzeichnend, besinnt sich schließlich als
Telramund auf seine außerordentlichen Fähigkeiten des Schöngesangs in
kernig satter Stimmkultur und findet für Würdeverlust und Verzweiflung
feine Nuancen in Darstellung und Diktion. Abonniert auf die dämonischen
Frauen der Opernliteratur setzt Michaela Schuster auf Körpersprache,
Mimik und rund strömende Mitellage, um die von der Regie recht
unauffällig konzipierte Ortrud aufzuwerten. Sonor, klangschön und wie
die übrigen Kollegen ausgesprochen textverständlich präsentieren sich
Christof Fischesser und Evgeny Nikitin als Heinrich und Heerrufer.
Eine DVD-Aufnahme mit Stolperstellen, Lücken und Tücken – aber
zugleich das Erlebnis eines Traumpaares, das bereits jetzt Maßstäbe
gesetzt hat. |
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