Opernglas, April 2013
B. Kempen
 
Königskinder
Engelbert Humperdincks Märchenoper »Königskinder« ist eher Schwanengesang als klassisches Märchen. Zwar erzählt das Stück von der Liebe eines von zu Hause weggelaufenen Königssohns zu einer im Wald gefangenen Gänsemagd, von einer Hexe, die die Erwachsenen fürchten, und einem Spielmann, den die Kinder lieben. Doch das Liebespaar wird aus Hellastadt, das aus Prestigegründen einen König haben möchte, davongejagt und stirbt an einem von der Hexe verzauberten Brot, das tödlich wirkt durch das Teilen in zwei gleiche Hälften. Ein „traurig Stück" ohne gerechte Moral, das sehr nachdenklich macht.

Nach jahrzehntelanger Absenz auf den Opernbühnen erleben die immerhin 1910 an der New Yorker Metropolitan Opera uraufgeführten »Königskinder« seit einigen Jahren eine wundersame Renaissance. So sorgte im Jahre 2007 eine Produktion des Opernhauses Zürich für Furore mit dem Zürich-Debüt von Ingo Metzmacher im Graben und dem am Sprungbrett zur ganz großen Karriere stehenden Jonas Kaufmann als Königssohn (OG 12/2007). 2010 gab es eine Wiederaufnahme, deren Aufzeichnung nun als erste »Königskinder«-DVD überhaupt auf den Klassikmarkt kommt.

Der Einstieg ins Geschehen gestaltet sich als schwierig, denn Jens-Daniel Herzogs Inszenierung startet in einem Biologie-Labor mit Cannabisplantage, deren Pflänzchen von der Gänsemagd naiv weltfremd gepflegt und deren Ertrag von der dealenden Hexe unters Volk gebracht wird. Das wirkt zunächst krampfhaft konstruiert. doch Herzog entwickelt daraus nachvollziehbar die Reise aus einer Scheinwelt in die habgierige Realität von Hellabrunn als Königsburger-Fastfoodkette bis in ein Niemandsland hinein, in deren Zwischenwelt die Königskinder im Schneetreiben sterben. Diese Reise wird mit einer psychologisch natürlichen Personenführung ausgefüllt, diedie Kamera geschmackvoll und treffsicher einfängt und dievon dem Moment an greift, wenn der Königssohn seine märchenhafte Vergangenheit hinter sich lässt und durch das Fenster des Labors die Traumwelt der Gänsemagd betritt.

Jonas Kaufmann scheint da einem Bilderbuch entstiegen, ist darstellerisch selbstbewusster Prinz und trotziges Spielkind, wütender Revoluzzer und sanft Verliebter und bewegt sich gesanglich traumwandlerisch sicher zwischen blühenden Lyrismen, frecher Heldenattacke und ersterbendem Liebestod. Und so harmoniert es einfach sympathisch zwischen Königssohn und der Gänsemagd von Isabel Rey, die ein bezauberndes Pendant bietet. Aus der Naivität ihres Parts entwickelt sie die Weisheit des ultimativ liebenden Menschen, erfüllt die Kantilenen mit inniger Wärme, hat Frische fürs Spielerische und feine Piani für die Beseeltheit des Gebets zur Verfügung und berührt in derTragik ihres Schicksals.

Ein scharfer Gegenentwurf zum sonst üblichen Gutmenschen ist der Spielmann von Oliver Widmer. Ein zynischer Realist und manipulierender Stratege, ein unbequemer Einzelgänger im Kampfgegen Korruption und Herzlosigkeit mitgradliniger Stimmführung und knorrigem Timbre. Hier passt das, bleibt aber Geschmacksache. Die rothaarige Hexe der satt intonierenden Liliana Nikiteanu ist eine bissig-tafle Gegenspielerin. Typisch fürZürich: die durchweg exquisite Besetzung sämtlicher Nebenrollen.

Ingo Metzmacher präsentiert eindrucksvoll sensibel die Schönheit, Fantasie und Klugheit der Partitur. Die Märchenbilder des 1. Aktes duften zartbunt, in Hellabrunn wird saftig attackiert und das glücklose Ende schwingt in surreal impressionistischen Klangwelten. Insgesamt also eine auch auf DVD erlebenswerte Produktion, eigenwillig selbstbewusst konzipiert mit einem persönlichkeitsstarken Sängerensemble.






 
 
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