|
|
|
|
|
Opernglas, 2/2008 |
S. Mauß |
|
Fierrabras, Franz Schubert und die Oper
|
|
|
Das
war ein lebenslanger, letztendlich erfolgloser Kampf für beide Seiten.
Während der Österreicher es sich im Instrumentalen leisten konnte, eine
h-moll-Sinfonie für die Schreibtischschublade und unvollendet zu schreiben,
waren auch damals schon die Gesetze des Musiktheaters andere. Wer hier die
Publikumsscharen an die Theaterkassen locken konnte, dem winkte nicht nur
Ruhm, sondern auch Geld und, last but not least, Folgeaufträge. Beethoven
kämpfte mit seinem »Fidelio« in verschiedenen Versionen zumindest immer mit
demselben Stoff (vergeblich) um diese Gunst, Schubert dagegen hatte sich
achtzehn Mal (!) an Sujets versucht, die in ihrer Belanglosigkeit häufig
genau sein Problem waren: Ob »Der häusliche Krieg«, »Der vierjährige
Posten«, »Des Teufels Lustschloss«. Schon die Titel der häufig nur
fragmentarisch erhaltenen oder komponierten Stücke wie »Der Spiegelritter«
oder auch »Der Graf von Gleichen« lassen biedermeierliche Putzigkeit und die
große Distanz zu Schuberts anderen Kompositionen nicht nur erahnen. Doch
Franz Schubert gab nicht auf und wollte den Erfolg auf der Bühne geradezu
erzwingen.
Als er 1821 von Domenico Barbaja gefragt wurde, ob er für dessen
Kärntnertor-Theater ein Werk schreiben könnte, ließ er sich auch nicht
entmutigen, als man die bereits fertig gestellte Oper »Alfonso und Estella«
ablehnte. Schubert setzte sich an den »Fierrabras« und fühlte sich mit
Joseph Kuppelwiesers Libretto besonders sicher, da dieser am „Kärntnertor“
fest angestellt war. Allein es kam anders: Nachdem Webers »Euryanthe« 1823
mit Pauken und Trompeten an diesem Haus durchfiel, bedeutete das auch das
Ende der deutschen, romantischen Zauberoper. Der neue Hausgott nicht nur in
Wien hieß Rossini, und Schuberts Werk musste einhundert Jahre warten, bis es
zumindest teilweise uraufgeführt wurde - und dann ausgerechnet durch den
gefürchteten Kritiker Eduard Hanslick nach Strich und Faden auseinander
genommen wurde.
Erst 1988 hatten sich Claudio Abbado und Ruth Berghaus während der Wiener
Festwochen an das Werk gewagt; am Opernhaus Zürich nahm sich vierzehn Jahre
später Claus Guth der Oper an und präsentierte die bis heute wohl
aufsehenerregendste Deutung, die nun auch als DVD-Mitschnitt greifbar ist.
Guth macht aus der eigentlich großen exotischen Oper eine Art „Homestory“ im
Vaterhaus des Komponisten. Das Ergebnis ist ein gelungenes Vexierspiel
zwischen Opernhandlung und biografischen Anspielungen, bei dem alle Grenzen
zur Bühnenhandlung aufgehoben werden.
Bühnenbildner Christian Schmidt hat ein auf den ersten Blick niedliches,
überdimensionales Dreimädelhaus in schönster Biedermeierausstattung auf die
Bühne gebracht, in dem alles etwas größer ist und die Protagonisten kaum die
hohen Stühle erklettern können, sich dafür aber auch bequem unter dem
überdimensionalen Hammerflügel verstecken können zumindest solange er sich
wie im ersten Bild noch mit den Füssen auf dem Boden befindet. In Schuberts
Fantasiewelt findet dieses Stück statt - mit dem großen Vorteil, dass sie
der Logik in keiner Weise irgendetwas schuldet. Der Regisseur verschwendet
nicht viel Zeit darauf, das Handlungschaos zu entwirren, sondern widmet sich
in seiner Deutung besonders Schuberts Vaterkomplex, den er auf mehreren
Ebenen herausarbeitet: Beide Könige werden als Vaterfiguren dargestellt, im
Gegenzug alle Liebhaber als kleine Schuberts. Und damit es nicht zu
übersichtlich wird, hat Guth mit dem Schauspieler Wolfgang Beuschel so etwas
wie einen „Chef-Schubert“ eingefügt, der alles auf der Bühne koordiniert,
die Noten noch im letzten Moment korrigiert und an die Sänger austeilt,
sowie auch ab und an deren Text spricht. Beuschel spielt mit unglaublicher
Intensität.
Der überzeugenden Szene stand in Zürich eine musikalische Seite gegenüber,
die in diesem Stück derzeit den Goldstandard definiert und vor allem
sängerisch wesentlich ausgewogener daherkommt als in Abbados CD-Aufnahme aus
Wien. Franz Welser-Möst hat das Orchester der Oper Zürich auf gewohnt hohem
Niveau vorbereitet und versucht, möglichst viele Fassetten der Partitur
herauszuarbeiten. Leider fehlt ihm dabei ab und an doch der Mut zu einer
etwas forscheren Lesart des Notentextes. Ernst Raffelsbergers Chor überzeugt
hingegen auf ganzer Linie.
In der Titelpartie ist der angesagteste deutsche Tenor zu erleben:
Jonas Kaufmann gelingt das Ideal eines Fierrabras, der neben dem lyrischen
Liedton schon andeutet, dass diese Stimme auf geradem Weg ins Zwischen- und
Heldenfach ist, was dem Ritter eine besondere Durchschlagskraft verleiht.
Kaufmanns ungemeine Bühnenpräsenz tut ein Übriges dazu. Christoph
Strehls Eginhard ist diesem Fierrabras ein nicht ganz adäquater
Gegenspieler; sein nicht sehr großer und in der Höhe mitunter etwas enger
Tenor wird zwar schön geführt, wirkt aber zu verzagt, um als wirklicher
Rivale durchgehen zu können. Michael Volles Roland lässt wiederum keine
Wünsche offen. Lange vor seinem Bayreuther Beckmesser sieht man hier einen
der viel versprechendsten deutschen Baritone in Topform. Die Szene „Gerechte
Vorsicht! ja, sie ist‘s Florinda!“ macht er mit vokalem Nachdruck zu einem
Vorläufer der Amfortas-Klage aus dem »Parsifal«.
Die Frauen sind musikalisch etwas sparsamer bedacht worden, aber vor allem
Juliane Banse als Emma vermag auch aus der eher anämischen Partie sängerisch
wie darstellerisch eine vollblütige Darstellung zu machen - im wahrsten
Sinne des Wortes, denn sie muss sich während ihrer Arie „Aus diesen Tönen
strömet Liebeslust‘ autoaggressiv in die Hand schneiden. Die warme
Mittellage der Sopranistin ist auch in dieser Rolle ein Pfund, mit dem sie
genüsslich wuchern kann. Lediglich die extreme Höhe kommt manchmal ungenau
und unkontrolliert. Twyla Robinson als Florinda weiß ebenfalls zu
überzeugen, wenngleich sie es als Amerikanerin mit Kuppelwiesers krudem Text
noch schwerer hat als die übrigen, dennoch zündet etwa selbst ihr
„Mauerschau"-Melodram „Schützt ihn, ihr ew‘gen Mächte!“ beeindruckend, da
die Sängerin sich schonungslos in die Partie wirft. Die beiden Könige Karl
und Boland liegen bei den beiden „Haus-Bässen“ Laszlo Polgar und Günther
Groissböck in sehr guten Händen, wobei der Ungar durch die raffiniertere
Phrasierung die Stimmvorteile des jungen Österreichers leicht wieder
wettmacht. Auch alle Comprimarii sind, wie in Zürich üblich, sehr edel
besetzt, sodass man diesen ungewöhnlich spannenden Opernabend nur wärmstens
für das heimische Opernhaus empfehlen kann. Dass es außer einem sehr dünnen
Beiblättchen keinerlei informative Zugaben auf dieser Doppel-DVD gibt, ist
bei einem so unbekannten Werk und einer so ungewöhnlichen Produktion
allerdings ärgerlich. |
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|