Thüringer Allgemeine,  20.03.10
Wolfgang Hirsch
 
Der Zürcher "Fidelio" mit Jonas Kaufmann auf DVD
Jonas Kaufmann, Camilla Nylund, László Pólgár: Mit einer Weltklasse-Besetzung wartete Beethovens «Fidelio» 2004 am Opernhaus Zürich auf. Der eigentliche Star aber stand mit Nikolaus Harnoncourt im Orchestergraben.

Der damals 74-jährige Dirigent, seit Jahrzehnten Stammgast am Limmat, bürgt vom ersten Takt der Ouvertüre bis zum letzten des Finalchores mit ausgeklügelter Dramatik für eine schier den Atem verschlagende Spannkraft. Jetzt ist ein Live-Mitschnitt der von Jürgen Flimm inszenierten Aufführung beim Hallenser Label Arthaus Musik auf DVD zu bewundern.

Zwar erzielen Chor und Orchester des Zürcher Hauses nicht ganz jene stupende Präzision, die eine zehn Jahre ältere «Fidelio»-Studioproduktion Harnoncourts mit dem Chamber Orchestra of Europe und dem Arnold Schönberg Chor aufweist. Doch wäre, dies ernsthaft zu erwarten, auch vermessen. Das musikalische Konzept indes ist ähnlich. Schon in der vermeintlich unspektakulären E-Dur-Ouvertüre brennt der vor musikantischer Verve sprühende Leitwolf am Pult ein minutiöses Feuerwerk ab. Klangscharf, kontrastreich und agogisch kalkuliert, versetzt er Spieler wie Hörer prompt in Alarmstimmung.

Jürgen Flimm, dem opernbewanderten Schauspielstrategen der gemäßigteren Regietheaterzunft, glückt es, den inhärenten Gegensatz der Beethoven-Oper zwischen bürgerlichem Singspiel und revolutionärem Ideendrama zu versöhnen. So häuslich und trivial das zänkische Eingangsduett vor der finsteren, mit wenigen Möbeln zur Wohnstube drapierten Kulisse (Rolf Glittenberg) scheinen mag, so hantieren Jaquino (Christoph Strehl) und Marzelline (Elisabeth Rae Magnuson) doch nebenbei mit Pistole und Flinte, als seien es Küchengeräte - die Anomalie dieses Haushalts, das unterschwellig martialische Potenzial wird als minimale Störung sogleich offensichtlich.

Roccos glaubwürdige Zwiespältigkeit

In der Figur Roccos, eines gutmütigen Patriarchen, verdichtet sich der Widerspruch von familiärer Harmonie und einer durch äußere, politische Zwänge forcierten Handlungsnotwendigkeit. Trotzig stimmt der Kerkermeister mit Fidelio und seiner Tochter Marzelline in das Verlobungs-Terzett ein, teilt Schnäpse und Ringe aus: «Ich werde glücklich sein.» Mit Entsetzen reagiert er auf Don Pizarros (Alfred Muff) Befehl, den Gefangenen Florestan zu liquidieren. Der wunderbare László Pólgár singt und spielt den so pflichtbewussten Rocco mit vollkommen glaubwürdiger Zwiespältigkeit.

Die strenge Entschlossenheit zum Glück charakterisiert besonders Fidelio/Leonore in ihrer äußerlichen Erscheinung wie im sanglichen Ausdruck. Camilla Nylund interpretiert die Partie sehr diszipliniert und mit mählich aufglimmender Herrzensglut. Anfangs, in der Verkleidung als Fidelio, wirkt sie eher tapfer als befangen; dann, im tiefsten Verlies, als Pizarro sich anschickt, ihren Florestan niederzustechen, überschreitet sie ohne Zögern die Grenze zur Tat und setzt dem Unhold den Revolver ins Genick.

Das C-Dur-Trompetensignal bestätigt bloß noch die selbst errungene Freiheit - eine Heldin wie Leonore bedürfte solch fremder Hilfe nicht. Und im Liebesduett «O namenlose Freude» mit dem Gatten überstrahlt sie ihn sogar, gibt sich als der wandelnde Triumph von Glaube, Liebe, Hoffnung zu erkennen, als verkörperte Humanitas.

Jürgen Flimm hat diese Schlüsselszene sehr zurückhaltend inszeniert. Lang lässt er seine beiden Protagonisten ungläubig warten - nur ihre Stimmen halten schon einander eng umschlungen -, bis sie sich endlich in die Arme zu schließen wagen. Wie unglaublich, wie kostbar ist dieses Glück! Flimm potenziert es, indem auch die übrigen Gefangenen - Schimären mit Häftlingsnummern auf den weiß geschminkten Glatzen - von ihren Frauen umarmt, befreit werden dürfen. Und zu neuem Leben erwachen.

Jonas Kaufmann aber mimt mit schütterem Vollbart und strähnigem Haar einen idealen Schmerzensmann. Der Star-Tenor, der eher im italienischen Fach zu Hause ist, beweist in der anspruchsvollen Partie des Florestan eine exzellente Stimmtechnik; auf solidem Fundament schimmern Valeurs aus tiefer Emotion, und allem Leidenspathos schenkt er Anmut und Würde. Vielleicht ist Kaufmann der Richard Tauber unserer Tage.

So hat Flimm Recht, seine handwerklich solide, wenngleich konventionelle Inszenierung ganz in den Dienst der Musik zu stellen. Lichtregie und Personenführung unterstreichen seine Könnerschaft - und veredeln die Leistung der Sängerstars, der Ensembles und des Dirigenten zum Gesamtkunstwerk.
 
 






 
 
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