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Opernglas, Mai 2014
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J. Müller |
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Faust |
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Jonas
Kaufmann ist drauf und dran, alle wichtigen lyrischen, bald auch
dramatischen Rollen des italienischen, französischen und deutschen
Faches auf Ton- und/ oder Videodatenträger zu veröffentlichen. Mit
Busonis und Berlioz' Vertonungen sowie nun eben auch der Gounod-Version
auf DVD als Livemitschnitt aus der Met zeigt sich der deutsche Tenor
geradezu als Spezialist für das Faust-Thema wie auch für die
französische Operntradition. In diesem »Faust« steigert sich Kaufmann
stimmlich und darstellerisch bis zum fünften Akt. Erst der verzagende
Physiker und Verführer, dann der Kämpfer für eine verlorene Sache gegen
teuflische Prinzipien: Für all diese Nuancen entwickelt der Sänger den
richtigen sensiblen Ton, mal lyrisch kraftvoll und immer wieder bewährt
strahlend. Réne Pape als Mephistopheles ist szenisch stets unverfroren,
emotionslos, die Welt verachtend. Er besticht besonders in der
Dom-Szene, wenn er als Herr der Finsternis die Dämonen aufdie Verführte
heraufbeschwört: dunkel, voluminös, nie übertreibend. Dervolle, warme
Klang von Marina Poplavskaya als Marguerite verfügt über
einedurchschlagende Frische in der Höhe ebenso wie über eine wuchtige
Tiefe. Auch sie wird von Szene zu Szene überzeugender, bis letztlich im
Kerker ihre musikalische und darstellerische Leistung ihren Höhepunkt
erreicht.
Traurig sind allerdings die dürftige Kulisse und die
phantasielosen Kostüme zwischen den metallenen Wendeltreppen im engen
Käfig —wie oft gesehen! —, bevor Marguerite in Verklärung die
Feuerleiter emporsteigt, während Faust sich im Laboratorium neben seinem
Waschbecken wiederfindet. Diesem Waschbecken scheint die volle Liebe des
Bühnenbildners Robert Brill zu gehören. 187 Minuten lang wird es in jede
Szene einbezogen! Symbol für das Reinwaschen der Hände in Unschuld?
Marguerite hat so jedenfalls die Chance, ihren Kindsmord auf offener
Bühne selbst in Szene zu setzen.
Die Regieidee des erfolgreichen
Broadway-Regisseurs Desmond McAnuff ist zumindest diskussionswürdig: Was
wäre, wenn die Atombomben von 1945 in Fausts Laboratorium entwickelt
worden wären? Mephistos Diener, die Dämonen des Bösen, ziehen hier an
dem von Schuldgefühlen und Suizidvorstellungen gepeinigten
Wissenschaftler wie verstrahlte Liquidatoren oder Endzeitzombies vorbei,
im Hintergrund eine Projektion einer bekannten Ansicht Hiroshimas, im
Vordergrund besagtes Waschbecken. Studierzimmer und Hexenküche sind
eins, wenn es um die Zerstörung des Planeten geht. Als fesche Lebemänner
in gutsitzenden, amerikanischen Herrenanzügen feiern die beiden den
unkontrollierten Rausch der Jugend vor dem Ausbruch des Ersten
Weltkrieges.
Eine 2011 noch unverbraucht wirkende Leichtigkeit
ist bei dieser Zeitreise durchaus spürbar, kann aber unvermittelt auch
in überzuckerte Kitschmomente umschlagen: Die langen Liebesduette, oft
in ganz stereotypen Posen mit klischeehafter Gestik, werden durch die
biederen Kostüme und schonungslosen Naheinstellungen schwer erträglich.
Zu guter Letzt regnet es auch noch rote Rosen... Wie zahlreiche andere
süßliche Momente der Inszenierung könnte das für europäische
Sehgewohnheiten doch etwas zu dick aufgetragen sein—aber man kann ja
einfach die Augen schließen. Denn das Dirigat von Yannick Nézet-Séguin
überzeugt stets durch einen wunderbaren Orchesterklang und eine hoch
lyrische Gesamtstimmung, die im Verbund mit der vokalen Starbesetzung
alles Optische weit hinter sich lässt.
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