Abendzeitung, 07.10.2016
Robert Braunmüller
 
So ist seine neue CD "Dolce vita"
 
Lauter Nachspeisen als Hauptgericht: Jonas Kaufmann singt italienische Schlager auf seiner neuen Platte „Dolce vita“

Er stammt aus der (angeblich) nördlichsten Stadt Italiens. Er sieht aus wie ein Italiener. Er spricht italienisch wie ein Italiener. Er liebt dieses Land. Und, das Wichtigste: Mangels landeseigener Tenöre ist der Münchner gegenwärtig auch der beste Interpret der dramatischen Rollen der italienischen Komponisten Verdi, Puccini und Co.

In der Diskographie von Jonas Kaufmann war nach Schubert, deutscher Romantik, Wagner, Verdi und einem Operetten-Album irgendwie eine Crossover-Platte fällig, auch wenn sie niemand ernstlich vermisst haben dürfte. Nun schließt sich diese Lücke: mit „Dolce vita“ – einer Silberscheibe mit italienischen Schlagern.

Der Hang von Opernsängern zum Pop ist und bleibt Geschmacksache. Helene Fischer singt ja auch nicht die „Winterreise“. In der Epoche des „Anything goes“ wird unter Bildungsbürgern der Besitz einer echten Schlagerplatte nicht mit der sofortigen sozialen Deklassierung bestraft. Man muss Unterhaltung schon lange nicht mehr seriös tarnen wie in den USA eine Schnapsflasche mit der braunen Papiertüte.

Für den Sänger ist es ein Riesenspaß

Trotzdem stellt sich die Grundsatzfrage nach dem ästhetischen Mehrwert solcher Darbietungen. Was bringt es, wenn jemand mit einer Opernstimme Lieder singt, die dafür gar nicht geschrieben wurden? Bei italienischen Schlagern, deren Pathos bis heute die große Zeit der Oper beschwört, funktioniert eine solche Aneignung schon eher als bei britischer oder amerikanischer Popmusik, an der sich große Tenöre wie Placido Domingo auch schon vergriffen haben.

Vermutlich ist die einfachste Antwort die richtige: Kaufmann machen die Lieder einfach einen Riesenspaß. Bei Lucio Dallas „Caruso“ steckt seine Kraft den Hörer durchaus an. Da dreht er die Stimme im Gedenken an den größten aller Tenöre so richtig auf. Für den Klassiker „Mattinata“ ist Kaufmanns Timbre zu schwer, obwohl dieses Lied dem „Bajazzo“-Komponisten Ruggero Leoncavallo eingefallen ist.

Die aufgehellte Kopfstimme in Nino Rotas „Parla piú piano“ hingegen wirkt arg künstlich. Auch Zuccheros „Il libro dell’amore“ klingt, als habe sich Wagners Siegfried plötzlich zu Mime verzwergt. Dass das Orchester des Teatro Massimo di Palermo unter dem in München ungeliebten Allzweck-Maestro Asher Fisch ein wenig künstlich heruntergeregelt klingt, stört kaum.

Nach einigen Nummern kommen einem die Orchesterarrangements mit ihren reichlichen Beckenschlägen zunehmend eintönig vor. Dann überrascht auch schon das ausführliche Vorspiel zu „Catari’, Catari’“ mit Hörnerschall und ganz großem Operngetöse.

Die Platte ist wie ein Menü, das mit Panna Cotta beginnt, bei dem eine Zabaione als Zwischengang gereicht wird, ehe der Ober eine riesige Portion Tiramisú als Hauptgericht serviert. Dann muss man zum Nachtisch Panettone mit Marsala herunterspülen. Wenn das Magenweh nachlässt, sehnt man sich nach was Reellem. Aber auch das gibt es frisch auf dem Markt: die kürzlich erschienene DVD von Umberto Giordanos „Andrea Chénier“ mit Kaufmann aus Covent Garden.






 
 
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