Opernglas 4/2007
St. Mauß
 
Mozart: La clemenza di Tito
Das Opernhaus in Zürich ist weltweit sicher das Umtriebigste, wenn es darum geht, seine Neuinszenierungen auch auf DVDs zu „versilbern“. Während die musikalische Seite der Produktionen in der Ära Alexander Pereira schon immer erstklassig besetzt war, hat man in den letzten Jahren auch zunehmend darauf geachtet, Regisseure ans Haus zu binden, die vor einiger Zeit in der Schweizer Metropole als zu modern gegolten hätten. Martin Kusej oder Claus Guth sind inzwischen regelmäßig am Limmat zu Gast.

Für Mozarts »La Clemenza di Tito« hatte man im Jahr 2005 mit Jonathan Miller allerdings einen Regisseur ausgewählt, der nicht nur in Zürich für eher zurückhaltende Modernität stand - und ausgerechnet mit diesem »Titus« von seiner Linie abgewichen war und das Publikum in zwei Lager spaltete. Sein Grundgedanke, das Werk in die Zeit des italienischen Faschismus zu verlegen, ist sicher diskussionswürdig, da er damit mindestens so viel Probleme wie zwingende Bilder auf die Bühne bringt. Isabella Bywater hatte Miler ein schickes Ambiente im Design-Stil der dreißigerJahre auf die Bühne gestellt und dazu nicht minder sehenswerte Kostüme kreiert. Eine große, drehbare zentrale Treppenkonstruktion macht dabei als universelle Spielfläche und Rednertribüne eine gute Figur. Die große Fensterrückfront dient zudem als Projektionsfläche für den
(angedeuteten) Brand Roms. Das alles ist zweckmäßig aber nicht gerade aufregend und neu - und passt damit gut zu Millers Regie, die sich offenbar so über den Mussolini-Grundgedanken freut, dass sie eine ausgeklügelte Personenregie nahezu vollständig vernachlässigt, was hier zum Glück durch die erfahrenen Solisten und deren große Bühnenpräsenz aufgefangen wird. Titus etwa scheint jung und unbedarft, Verdis Herzog on Mantua näher zu sein als einem römischen Kaiser, der die Wandlung vom politischen Hardliner als Konsul zum milden Herrscher bereits bewältigt hat. Wie die anderen Männerauch, steht er meist mit einer, ab und an auch mit beiden Händen in den Hosentaschen und singt.

Der mutigste Aspekt der Produktion ist sicher der, dass man die Secco-Rezitative von Mozarts Schüler Franz-Xaver Süßmayr komplett gestrichen und durch knappe, aber durchaus geschickte und ausreichende Dialoge des Publizisten und Romanisten so Camartin ersetzt hat, was das Stück stilistisch näher an die parallel entstandene »Zauberflöte« heranbringt. Ein geglücktes und interessantes Experiment. Camartins prägnante Texte beschleunigen die Handlung, straffen das Werk und sind zudem ausgesprochen musikalisch, wie man etwa an Titos Arie „Del pici sublime soglio‘ sehen kann, die sich nahtlos aus dem Dialog mit Sesto ergibt.

Überhaupt überzeugt dieser »Tito« eher musikalisch, ohne allerdings wirklich neue Standards zu setzen,wie es die Besetzung schon hätte vermuten lassen. Zürichs GMD Franz Welser-Möst fühlt sich in dieser Partitur hörbar nicht so sicher wie bei Wagners »Meistersingern« oder Verdis »La Traviata«. Auch wenn er die C-Dur-Ouvertüre versucht, zupackend und vorwärts drängend zu dirigieren, wirklich mitreißen kann das den Zuhörer nicht. Im weiteren Verlauf des Abends präpariert er wunderbare Details (vor allem bei den Holzbläsern) heraus und hat auch das musikalische Geschehen auf der Bühne gut im Griff.

Bei den Sängern ist Jonas Kaufmann in der Titelrolle eine gute Wahl. Auch wenn er inzwischen hörbar vom Mozart- ins Zwischenfach drängt, ist der Titus bei ihm stimmlich gut aufgehoben. Obwohl die Lyrismen der Partie bei ihm inzwischen schon etwas zu viel Körper haben, wird er den Anforderungen der schwierigen Rolle jede Sekunde voll gerecht und singt zudem immer mit ganzem Einsatz und nimmt dafür auch in Kauf, dass mal ein Ton im Eifer des Gefechts verrutscht. („Che orror! Che tradimento!“) Dieser Titus hat Klasse und Virilität und könnte in einem schlüssigeren Regiekonzept noch wesentlich überzeugender wirken.

Als Sesto ist Vesselina Kasarova zu erleben, die sechzehn Jahre zuvor hier unter Harnoncourt noch als Annio zu hören war. Ihr Sesto berührt in dieser Produktion mehr als alle anderen Charaktere, gerade weil sie auch den Mut hat, die zweifelnden und weichen Seiten der Rolle herauszupräparieren („Deh, perquesto“). Das Filetstück der Partie, „Parto! Parto!“, gelingt ihr nicht nur mit traumwandlerischer Sicherheit, sondern auch mit unzähligen Zwischentönen: Der Zwiegesang mit der Soloklarinette in dieser Arie gehört zu den absoluten Höhepunkten dieses Abends.

Eva Meis Vitellia fehlen ein wenig die Ecken und Kanten, die verletzte Rächerin nimmt man ihr nur schwerlich ab. Sängerisch brilliert sie mit sicheren Koloraturen, wenngleich das Vibrato der für die Partie zu offenen und hell timbrierten Stimme doch mitunter etwas geringer ausfallen könnte. Mit Malin Hartelius steht eine weitere bewährte Stütze des Zürcher Mozart-Ensembles auf der Bühne, die als Servilia absolut rollendeckend besetzt ist, wenngleich sie mit dieser Partie nur einen kleinen Teil ihrer stimmlichen und darstellerischen Vorzüge ausspielen kann. Liliana Nikiteanu singt einen feuerköpfigen Annio und Günther Groissböcks flexibler Bass hat in der kurzen Partie des Publio leider viel zu wenig Gelegenheit, seine stimmlichen Stärken auszuspielen.






 
 
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