Opernglas, Oktober 2016
M. Wilks
 
Andrea Chenier
Der Jubel des Publikums nach Lidern Schlussakkord war eindeutig: Eva-Maria Westbroek und Jonas Kaufmann als Maddalena di Coigny und Andrea Chénier haben Umberto Giordanos Noten gekonnt in ein emotionales Finale mit dramatischem Gesang und leidenschaftlich ausgesungenen Spitzentönen übersetzt. Dem vorausgegangen waren mehrere Arien und Duette, in denen klar wurde, dass mitreißendes, bewegendes Musiktheater in erster Linie von starkem Gesang geprägt wird. Wieder einmal war es dem Londoner Royal Opera House gelungen, den derzeit gefragtesten Tenor unserer Zeit für eine spektakuläre Produktion zu verpflichten, die zusätzlich ins Kino übertragen und nun auch auf DVD veröffentlicht wurde. Ein Ohren- und Augenschmaus (vgl. OG 3/2015). Das Engagement von David McVicar als Regisseur war der Garant für eine Inszenierung, die einen Großteil der Opernliebhaber zu begeistern vermag: mit wuchtigen Bühnenbildern und prachtvollen Kostümen, die Ort und Zeit der Handlung verdeutlichen, sowie mit einer detaillierten Personenregie, die auch den Nebenfiguren zu Profil verhilft (bis hin zu Obst essenden Zuhörern beim Prozess). Nun ist David McVicar kein Regisseur mit der Neigung zu großem Aktionismus oder provokanten Zuspitzungen. Vielmehr gönnt er dem Zuschauer wirkungsvolle Bühnenarrangements und ein unrealistisch schönes Bild aus den Zeiten der Revolution. Seine Künstler dürfen oft in Ruhe an der Rampe stehen und sich oder das Publikum ansingen—die Handlung wird schnörkellos in Bilder gesetzt. Da die Protagonisten gleichwohl mit oft glühender Intensität agieren und dieses mit vielen Nahaufnahmen dokumentiert wird, ergibt sich eine besondere Spannung und damit auch Kurzweil.

Leidenschaft drückt sich bei Eva-Maria Westbroek und Jonas Kaufmann vor allem durch Stimme und Blicke aus, körperliche Aktionen wie Umarmungen oder Küsse folgen zumeist nach dem Gesang. Mit seinem bronzefarbenen Tenor, den strahlenden Spitzentönen und dem gekonnten Auftreten ist Jonas Kaufmann eine außergewöhnliche Besetzung für die Titelpartie. Im Studio wäre der eine oder andere Übergang in die hohe Lage vielleicht noch etwas kontrollierter ausgefallen. Das ändert jedoch nichts an seiner berauschenden Wirkung als Poet, der in den Wirren der Französischen Revolution um Liebeund Leben kämpft. Eva-Maria Westbroek ist ihm eine Partnerin, die mit ähnlich hoher Intensität agiert. Ihre vibratoreiche Stimme funkelt und leuchtet, das Fehlen von dunklen Farben wird durch darstellerische Präsenz ausgeglichen. In jeder Sekunde souverän, wenn auch nicht immer intonationsrein, der große Bariton von Zeljko Lucic (Gerard), der freilich ohne Höhenglanz auskommt. Interessant besetzt sind die weiteren Rollen, so etwa Denyce Graves als stimmlich und szenisch ungewöhnlich präsente Bersi, Roland Wood mit trockenem, kräftigem Bariton als Roucher und Rosalind Plowright als Contessa de Coigny. Antonio Pappano und das Orchester der Royal Opera wissen genau, wie die Solisten zu unterstützen sind, damit deren Stimmen effektvoll und werkgerecht zur Geltung kommen. Nicht nur im Finale lässt Antonio Pappano die Streicher glühen, auch sonst glänzt das Orchester und findet eine richtige Balance zwischen Begleitung und Führung.






 
 
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