Opernglas, Mai 2016
Th. Baltensweiler
 
Cavalleria rusticana/ Pagliacci
Auf den ersten Blick verbindet den Verismo und den Expressionismus nur wenig — eines haben beide Strömungen indes gemeinsam: Sie spitzen Gefühle zu und versehen die Wahrnehmung von Wirklichkeit gleichsam mit einem Ausrufezeichen. Der Regisseur Philipp StölzI hat bei den Salzburger Osterfestspielen die beiden kurzen Verismo-Opern »Cavalleria rusticana« und »Pagliacci« nun mit den Stilmitteln des Expressionismus — genauer: des expressionistischen Stummfilms — inszeniert. Das Resultat wird den Vorlagen in höchstem Maße gerecht. Die Bühne hat Stölzl in sechs Fenster unterteilt, die meist unterschiedliche Bilder, manchmal aber auch Abschnitte einer übergreifenden größeren Szenerie oder Projektionen von Nahaufnahmen bieten. Durch das simultane Öffnen von Fenstern wird die Handlung der Werke aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet — eindringlich etwa, wenn Turiddu blutend in der Kirche zusammenbricht, während Alfio draußen sein Stellmesser einklappt und Santuzza zu Hause auf den im Zweikampf Unterlegenen zusammen mit ihrem gemeinsamen Sohn (eine Hinzufügung Stölzls) wartet.

In »Cavalleria rusticana« dominiert eine Schwarz-Weiß-Optik, wobei die Kulissen mehrheitlich in perspektivisch verzerrter Optik gemalt sind, wie es seinerzeit beim expressionistischen Film üblich war. In den »Pagliacci« kommt dann Farbe ins Spiel, aber nicht in naturalistischer Weise, sondern als verfremdende Grundierung zuweilen ganzer Bilder (die Lichtregie von Heinz Ilsanker macht dies möglich). Vor diesem Hintergrund gelingen mehrheitlich scharf gezeichnete Rollenbilder, vor allem in »Cavalleria«, weshalb die Inszenierung dieses Werks auch fesselnder wirkt als diejenige der »Pagliacci«. Leiden und Leidenschaft Santuzzas spiegeln sich trefflich in Liudmyla Monastyrskas Mimik und Gestik, und Turiddu ist in Jonas Kaufmanns Darstellung ein ungefestigter Bursche, der seine Impulse nicht beherrschen kann. Umso kontrollierter dagegen brennt die Eifersucht in Ambrogio Maestris Alfio. Bei den »Pagliacci« kann Jonas Kaufmann erneut mit einer intensiven Gestaltung punkten — Canio stammt unverkennbar aus der Unterschicht und verleiht seiner Macho-Attitüde mit berechnender Brutalität Nachdruck. Die anderen Protagonisten können da nicht ganz mithalten und bleiben vergleichsweise blass.

Auch unter vokalem Aspekt ist die Wiedergabe der »Cavalleria« eindrücklicher. Kaufmann liegen beide Rollen gleichermaßen: Sein baritonal gefärbter Tenor verströmt satte Dramatik, die Höhen erstrahlen glanzvoll und männlich-kräftig, die Phrasierung ist detailliert ausgearbeitet, wie man das von ihm gewohnt ist. Sehr für den Sänger spricht, wie er Effekte dosiert—nämlich so, dass sich „veristisches" Feuervermittelt, man aber nie den Eindruck erhält, er greife in die Kiste billiger vokaler Theatralik. Auf Liudmyla Monastyrska als Santuzza trifft Ähnliches zu: Auch sie kann stimmlich mit ihrem üppigen Sopran aus dem Vollen schöpfen, auch sie weiß aber zu differenzieren und das Volumen zu reduzieren, und nie gleitet sie in jene unschöne keifende Impulsivität ab, welche die größte interpretatorische Gefahr bei dieser Partie darstellt. Der Bariton von Ambrogio Maestri besticht einmal mehr durch seine Rundung und das kernige Timbre. In der Rolle der Mamma Lucia gibt es ein Wiedersehen mit Stefania Toczyska, die immer noch mit klarem Gesang aufwartet.

In den »Pagliacci« vermag Maria Agresta (Nedda) mit Kaufmann vokal am ehesten mitzuziehen: Sie kommt souverän durch ihre Partie, wenngleich es ihr zuweilen an Ausdruck mangelt. Dimitri Platanias dagegen hat mit den Herausforderungen seiner Aufgabe zu kämpfen: Seinem Tonio fehlt es an Resonanz und Freiheit in der hohen Lage. Alessio Arduini setzt als Silvio darstellerisch einen Kontrapunkt zu Kaufmanns vor aggressiver Männlichkeit strotzendem Canio und wirkt zunächst wie ein schmächtiger Buchhalter. Im Liebesduett kann er dann einen überraschend wohltrainierten Oberkörper aus dem Hemd schälen. Stimmlich hat er es vor allem auf Ebenmäßigkeit angelegt. Festspielniveau kommt von der Staatskapelle Dresden. Der Dirigent Christian Thielemann rollt einen eher breiten Teppich von warmem, dabei aber leuchtkräftigem Wohlklang aus. Viele Details, die er ans Licht hebt, sind ungewohnt, anders, als man sie von italienischen Maestri im Ohr hat.

Meisterhaft ist die Bildregie von Brian Large. Diese Produktion auf Film zu bannen, war gewiss kein Leichtes. Die Totale verkleinert auf dem Bildschirm daheim die einzelnen Ausschnitte des Bühnenbildes bis zur Unkenntlichkeit. Large hat sich dafür entschieden, mehrere Male mit der Totalen auf die Bühnenarchitektur aufmerksam zu machen, sich ansonsten aber auf jeweils ein, zwei Ausschnitte zu fokussieren — dass es in der Regel diejenigen sind, für die sich die Zuschauer am meisten interessieren dürften, zeugt von seiner Metierbeherrschung. Dank dieses Verfahrens sieht man am TV weniger verschiedene Guckkästen als imaginäre Stummfilmsequenzen — nur dass hier wunderbar gesungen wird.










 
 
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