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Hamburger Abendblatt, 1.11.2012 |
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Zahme Zigeunerin
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Simon Rattles "Carmen" -Einspielung mit Magdalena Kozená und Jonas Kaufmann |
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Carmen!
Kastagnetten, Zigeunerleben, Eifersucht! Wer Georges Bizets
Allzeitschlager, die meistgespielte Oper der Musikgeschichte, aufnimmt,
braucht schon ein Konzept, um in der Masse des Angebots aufzufallen.
Simon Rattle hat ein Rezept: Es lautet "Hochglanz". Für seine
Einspielung mit den Berliner Philharmonikern hat er sich zu seiner
orchestralen Luxuskarosse ein Sängerensemble vom Allerberühmtesten
zusammengestellt: Die Titelrolle singt die Mezzosopranistin Magdalena
Kozená, den fatal unglücklichen Liebhaber der Tenor Jonas Kaufmann.
Bei einer Opern-CD gibt es naturgemäß nichts zu sehen. Dieses
immanente Manko macht Rattle wett, indem er die vielen Melodien und
Motive, die sich qua Berühmtheit von ihrem Schöpfer losgelöst zu haben
scheinen und in den kollektiven Melodienschatz eingegangen sind,
herauspoliert, als wollte er sie in einer Vitrine ausstellen. Doch so
tonschön und perfekt wie der opulente Klang der Berliner ist das
Zigeunerleben dann wohl doch nicht - kurz, es fehlt ein wenig das
Laszive, Dunkle oder auch, ja doch, Dreckige. Dafür bräuchte es nämlich
auch mal eine weniger abgezirkelte Dehnung des Zeitmaßes oder den einen
oder anderen Schleifer.
Am deutlichsten zeigt sich der
Widerspruch in Magdalena Kozenás Deutung der Carmen. Ihr helles Timbre
hat so gar nichts Verruchtes; die berühmte Habanera, in der sie Don José
durch das Werfen einer Rose ganz buchstäblich verzaubert, singt sie
erstaunlich sanft, fast in sich gekehrt. Nun kann man ja das Klischee
durchaus mal gegen den Strich bürsten und eine Sängerin ganz gegen den
üblichen Rollentypus besetzen. Aber wenn Carmen keine Femme fatale ist,
woher dann nimmt sie ihre tödliche Faszination? Die Antwort bleibt
Kozená schuldig.
Kaufmann dagegen führt Don José
stimmlich höchst wandelbar als ausgeprägte, widersprüchliche
Persönlichkeit vor: als den kleinen Soldaten, der sich an der Größe, am
Drama seines Liebeserlebnisses förmlich verschluckt.
Das
Herz der Produktion jedoch schlägt in der Figur der Micaëla. Wie warm,
glockenhell und anmutig die junge Sopranistin Genia Kühmeier Josés
Verlobte gibt, das entschädigt für manche Unebenheit dieser Aufnahme.
Womöglich war es Absicht, das liebe, reinherzige Mädchen einmal mehr in
den Mittelpunkt zu rücken. Es ist jedenfalls gelungen.
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