|
|
|
|
|
NDR, CD Tipps, Sendedatum: 21.08.2012 |
Vorgestellt von Sabine Lange |
|
Rattle dirigiert Carmen
|
|
|
Seit
zehn Jahren ist Simon Rattle Chef der Berliner Philharmoniker - und zu
diesem Jubiläum hat er sich ein besonderes Projekt gegönnt: Zum ersten
Mal in seinem Leben dirigiert er Georges Bizets "Carmen". Magdalena
Kožená debütierte bei den Salzburger Osterfestspielen in dieser
Produktion als spanischer Vamp, Jonas Kaufmann spielt den Don José.
Leidenschaftliche Emotionen
Für Don José geht es um alles: Er
ist Carmen verfallen; er hat sich für sie degradieren und ins Gefängnis
sperren lassen; er ist desertiert und zum Verbrecher geworden, um ihr
nahe sein zu können. Und jetzt will sie ihn verlassen für einen anderen.
Don José ist zu Tode verzweifelt, und Kaufmann singt sich die
Seele aus dem Leib. Bis zur stimmlichen Brutalität reizt er in dem
tödlichen Schlussduett seine Emotionen aus. Kožená als Carmen
provoziert ihn mit ihrer vulgären Zurückweisung.
Packend
liefern sich Kaufmann und Kožená diesen finalen Beziehungsstreit.
Besonders Kaufmann zeigt überraschend viele emotionale Fassetten dieses
obsessiv abhängigen Don José. Kaufmann ist auch derjenige, der das
Leidenschaftliche in diese Aufnahme bringt, das Authentische, das
Menschliche, das Abgründige.
Ein modernes
Beziehungsdrama
Dirigent Rattle dagegen setzt bei seiner ersten
"Carmen" auf straffe Zügel, auf kontrollierte, manchmal vielleicht zu
rationale, analytisch geprägte Akzente. Rattle setzt seinen Intellekt
ein wie einen Schutzschild - hat er Angst vor dem Triebhaften dieser
Musik? Seine Ehefrau Magdalena Kožená lässt sich davon anstecken. Sie
singt schön und nuanciert, aber längst nicht so frei, wie sie könnte.
Rhythmische Präzision durchzieht die gesamte Aufnahme, manchmal so
auffallend derb, dass es schon erschreckt, wo Rattle bereits die
Brutalität sich den Weg bahnen lässt. Eins ist klar: Rattle liefert hier
keine spanische Folklore, er liefert ein modernes, psychologisches
Beziehungsdrama, in das er selbst involviert ist.
Der Dirigent
zeigt in seiner "Carmen" enormen Gestaltungswillen. Jede Phrase ist
durchdacht, nichts überlässt er dem Zufall. Da die Berliner
Philharmoniker brillante Musiker sind, werden selbst kleine Soli in den
Bläsern oder auch mal ein Paukenwirbel zum Ereignis. Neben Kožená und
Kaufmann glänzt unter den Solisten Genia Kühmeier als Micaela. Escamillo
Kostas Smoriginas dagegen fällt so verblüffend farblos aus dem Ensemble
heraus, dass man sich fragt, weshalb Carmen seinetwegen Don José
verlässt.
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|