RONDO Ausgabe 5 / 2015
Matthias Siehler
 
Jonas Kaufmann - Volkes Stimme
In Verdis „Aida“ verteidigt der Tenor seine Spitzenklasse. Sein jüngstes Solo-Album hat er Puccini gewidmet – Hit-Potential garantiert.
 
Im deutschen Repertoire hat sich Jonas Kaufmann längst seine Meriten verdient, in der Oper wie im Lied. Auch seine französischen Steher-Qualitäten hat er eindrucksvoll unter Beweis gestellt, etwa als Werther wie „Carmen“-Don José, im Dezember singt er neuerlich in Paris szenisch „La damnation de Faust“ von Berlioz, und auch der Offenbach- Hoffmann ist in Planung. Doch vorher gab es in München, nach wie vor gegenwärtig so etwas wie sein Stammhaus, den ersten Radames (dem im Mai dort dann das szenische Debüt als Walter von Stolzing in Wagners „Meistersinger“ folgt). Und auch sonst ist sein Herbst ein italienischer – er wird Giacomo Puccini gewidmet sein.

Denn auch wenn der gegenwärtig meistgefragte und erfolgreichste Tenor der Welt – zudem endlich wieder ein Klassikkünstler, der auch das Zeug zum Popstar hat – in den letzten Jahre dieses Repertoire zielstrebig ausgebaut hat („Madama Butterfly“ auf CD, vielleicht auch mal szenisch, mit Rollendebüts als Dick Johnson/„La fanciulla del west“ und Des Grieux/„Manon“ in Wien und London) – so eine ganze CD wildert dann natürlich schon sehr deutlich im Domingo- und Pavarotti-Terrain. Mit ersterem hat er die dunkel abgetönte virile Stimme gemein, doch erreicht er die Spitzentöne leichter; von Pavarotti hat er sich die Delikatesse und Leichtigkeit der Aufschwünge gut gemerkt.

„Ich kümmere mich nicht um mein sexy Image“, versucht Kaufmann einem glaubhaft zu versichern. Stimmt natürlich nicht. Sexy sind nach wie vor die Locken, die dunklen Augen, der im wahren Tenorleben (jenseits schöngefärbter Cover) schon interessant graue Dreitagebart. Der gut klingende Junge will jetzt reif erscheinen, aber zugleich mit seinen vokalen Möglichkeiten verführen. Eigentlich folgerichtig, dass er das nach dem höchst verkaufsträchtigen Operetten- und Rundfunkschlager- Album samt Tournee „Du bist die Welt für mich“ nun mit „Nessun dorma – The Puccini- Album“ fortsetzt.

„Butterfly“ und schnelle Autos

Der 1924 an Kehlkopfkrebs gestorbene Italiener ist nicht nur letzter Repertoirekönig der italienischen Oper, sondern auch der ideale Komponist für das Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit. „Puccini hat es verstanden, wirkliche, eindeutige und doch sehr individuelle ‚Schlager’ zu schreiben“, findet Kaufmann. „Eine späte Puccini-Arie ist wie eine Hit-Melodie heute, ganz bewusst auf kurze Spielzeit und einen nicht zu langen Aufmerksamkeitsmoment konzipiert. Das ist sehr zeitgenössisch, so wie Puccini ja generell ein moderner Künstler war. Einer, der sich für damalige Erfolgsstücke wie Belascos ‚Butterfly‘ oder ‚The Girl From The Golden West‘ interessierte, für Schönberg und Strawinski, für schnelle Autos und Grammophone. Das kulminiert dann alles in ‚Turandot‘. Puccini ist der letzte Volkskomponist geworden, aber mit Anspruch. Man darf es sich mit ihm nicht zu leicht machen.“

Und leicht macht es sich Jonas Kaufmann in der Tat nicht. Er findet trotzdem in diesen 16 CD-Nummern die richtige Mischung aus Präzision und Loslassen, Genuss und Arbeit, pädagogischem Eros und Fanbeglückung. Zumal er gleich zu Anfang mit vier Exzerpten aus „Manon Lescaut“ dem gern unterschätzen, vor allem für den Tenor schweren Frühwerk („davor habe ich allergrößten Respekt“, gibt er zu) einen bedeutenden und prominenten Hörplatz einräumt. Da ist zudem, wie auf dem gleichzeitig erscheinenden Opern-DVD-Mitschnitt, Kristine Opolais seine dramatisch zupackende Partnerin, und Kaufmann führt den Puccini-Tenor nicht als isoliertes Arien-Alien vor, sondern blüht auf im Geben und Nehmen mit der Sopranpartnerin.

Die Ausschnitte aus „La Bohème“, „Tosca“, „Butterfly“, „La Rondine“ (ein früher Durchbruch für ihn in London, 2004 an der Seite Angela Gheorghius) und auch „Turandot“ (der Calaf wartet noch auf eine – schon angedachte – Bühnenverwirklichung, so wie eventuell der Pinkerton), die sind für ihn natürlich Tenor-Routine auf allerhöchstem Niveau, ein Sich-Messen mit illustren Rollenvorgängern und würdiges Einreihen in der Porträtgalerie. Der glutvolle, sinistre Luigi im „Tabarro“ ergänzt diese Figuren, während für den Rinuccio im „Gianni Schicchi“ mit seiner ariosen Florenz-Liebeserklärung die Stimme natürlich längst zu schwer geworden ist. Aber ein wenig vokale Verkleidung schafft ein Kaufmann mit links. Besonderen Wert legt der Sänger freilich auf die beiden Arien aus den Frühwerken „Le Villi“ und „Edgar“: Die sind wie ein Experimentierkasten. Puccini ist schon deutlich erkennbar, aber die Soli sind schwerer, länger und viel komplexer. Er will hier alles zeigen, was er kann.

Sehr wichtig scheint für Jonas Kaufmann, und man hofft, dass er die Rolle noch länger im Repertoire halten wird, der Dick Johnson im „Mädchen aus dem goldenen Westen“. Kein Strahlemann, ein geläuterter Verbrecher, der um seine Minnie kämpft, die ihn freilich am Ende vom schon wartenden Strick schneiden muss. Das sind beides keine jungen Leute mehr, die haben ihre Lebenserfahrungen gemacht. Und sich für einander entschieden. Das hört und sieht man wunderbar auch in der gerade herauskommenden DVD mit Nina Stemme von den Wiener Aufführungen im Herbst 2013 unter Franz Welser-Möst.

Nicht nur Puccini, auch Verdi wird natürlich durch einen kompetenten Dirigenten und ein erstklassigen Orchester veredelt. Und so kontrastiert Jonas Kaufmann seinen Puccini-Herbst mit einem luxuriösen Verdi-Juwel, der römischen Studioproduktion der „Aida“, die dort mit einer gefeierten konzertanten Aufführung im Februar beendet wurde. Bei beiden Produktionen standen ihm die gleichen, guten Begleiter zur Seite. Chor und Orchester der Accademia Nazionale di Santa Cecilia sind zwar mit dem Idiom vertraut, spielen als Konzertklangkörper freilich gar nicht so viel Opernmusik. Also gibt es viel Enthusiasmus und gar keine Routineschleifer, alle lassen sich von ihrem geschätzten Chefdirigenten Antonio Pappano zu dieser süffigen Musik (ver-)führen, nehmen sie aber nicht (zu) leicht.

Pappanos Ägypten: Römischer Luxus

Pappano betont das Impressionistische, die Zartheit dieser ägyptischen Fantasiemusik, die eben doch durch und durch italienisch ist, tupft Stimmungszauber am nächtlichen Nil, kann aber natürlich auch einen schlankstrahlenden Triumph-Akt. Und er hat ein feines Ensemble an seiner Seite, das sich vor illustren Vorgängern nicht verstecken muss. Kaufmann ist ein sensibler, intelligenter Radames wie kaum einer vor ihm, mit mustergültigem Diminuendo auf dem hohen B in „Celeste Aida“, mit Schmelz und Volumen. Anja Harteros, nach wie vor nicht die ideale Plattenstimme, aber ihm bestens vertraute Partnerin, ist von durchscheinender Fragilität, tut sich mit den Höhen etwas schwer. Sonor, aber nicht brustig klingt Ekaterina Semenchuk als Amneris. Mit dem geschmackvoll-markigen Ludovic Tézier (Amonasro) ist der gegenwärtig beste Verdi-Bariton in der Besetzungsbarke, und auch Erwin Schrott (Ramfis) und Marco Spotti (König) lassen ihre tiefen Töne leuchten. So ist das die beste (ebenfalls bei Warner Classics) im Katalog stehende „Aida“ seit der von Riccardo Muti geworden.

Und Jonas Kaufmann ist somit weiter auf der Überholspur: „Ich genieße es. Je mehr man sich einbringt, desto mehr bekommt man zurück, aber man darf nicht vergessen, dass man seine Batterien aufladen muss.“






 
 
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