Salzburger Nachrichten, 03.11.2015
Von Karl Harb
 
Was Jonas Kaufmann auch anpackt, wird zu vokalem Gold
Jonas Kaufmann ist heute als Tenor konkurrenzlos. Er ist die Stimme des neuen Jahrhunderts. Und wird besser, je besser die Mitstreiter sind.

Der Prüfstein ist das hohe B. Giuseppe Verdi notierte es am Ende der Arie "Celeste Aida", eine Höchstnote, die dieser größte Wahrheitsfanatiker unter den Musikdramatikern nach Mozart aber nicht als Glanzpunkt verstand, sondern im leisesten Piano verhauchend klingen lassen wollte.

Jonas Kaufmann, dem unbestrittenen Tenorissimo unserer Tage, gelingen Phrase und Abschluss natürlich traumsicher. Er tariert Kraft und Schmelz mustergültig, blendend unangestrengt, fein abwägend aus. Und damit erreicht er jene schwebende Eleganz, die insgesamt für die neue Gesamtaufnahme von Verdis Oper kennzeichnend ist. Es ist eine in sechstägigen Sitzungen in Rom entstandene Studioaufnahme (mit folgender konzertanter Aufführung im Auditorium Parco della Musica), in der alle Finessen dieser heiklen Partitur auszuleuchten versucht werden.

Denn "Aida" ist, entgegen der landläufigen Meinung, die einen falsch verstandenen dröhnenden Triumphmarsch schon für das Werk hält, ein Kammerspiel, in dem es um Balancen und Nuancen des Klangs geht - siehe eben auch das hohe B. Die "privaten" Schicksale indes verbinden sich durchaus mit "öffentlich-politischen" Haupt- und Staatsaktionen, die offensiven Stimm- und Instrumentalglanz erfordern, freilich nicht in einem pompös-plakativen Sinn, wie er viele (Freiluft-)Inszenierungen prägt.

Die Raffinessen der musikalischen Sprache buchstäblich zur Sprache zu bringen, die Verdi für seine 1871 in Kairo uraufgeführte Oper auf der Höhe seiner Könner- und Meisterschaft mit feinster Differenzierungskunst einsetzte: Darin besteht die selten gelingende Kunst einer "Aida"-Interpretation.

Die Geschmeidigkeit von Phrase und Ausdruck
Antonio Pappano und dem Orchestra und Coro dell' Accademia Nazionale di Santa Cecilia gelingt sie auf beispielgebende Art. Es geht um die Erhellung von Strukturen, Schichtung der Klänge, Geschmeidigkeit von Phrase und Ausdruck, die Delikatesse der Farbwerte. Dabei muss man die großen dramatischen Gesten nicht zurücknehmen, sie erhalten aber in diesem ungewöhnlichen Klangkontext neue Gewichtung: nicht wuchtige Kraftentfaltung per se, sondern dramatische Wirkung aus der Kohärenz des Werkverlaufs.

Entscheidend dabei ist die Stimmigkeit der Sängerbesetzung, die hier mehr als nur luxuriös ist. Und gerade Jonas Kaufmann zeigt, wie unvergleichlich subtil und substanzreich in allen Lagen er seinen Tenor einzusetzen weiß, welche Leuchtkräfte er ohne Druck entfaltet, über wie viele Nuancen seine Stimme gebietet.

Dass er mit Anja Harteros eine wunderbar schlanke, lyrische, der Leichtheit und Reinheit klar fokussierten Singens verpflichtete Aida und in Ekaterina Semenchuk eine kontrastreich agierende, dramatisch nicht überakzentuierte Amneris zur Seite hat, macht diese Produktion so kostbar wie werkgerecht.

Und sie fügt dem an sich schon immensen Werkkatalog des Münchner Paradetenors wieder neue Facetten hinzu. "Gefräßig" ist er, was (neue) Rollen betrifft. Ob deutsches, französisches oder italienisches Fach: Mit traumwandlerischem Instinkt trifft Jonas Kaufmann die Tonlage(n) seiner Partien. Das neue und wunderbar "erzählerisch" gestaltete Puccini-Album, von "Edgar" und "Le Vili" bis "Turandot", ebenfalls unter Antonio Pappano, bezeugt das parallel zur "Aida". Mit Offenbachs Hoffmann, erstmals szenisch Wagners Stolzing ("Meistersinger") und Verdis Otello kommen bald neue Schwergewichte hinzu, die Kaufmann beileibe nicht stemmen, sondern mit der Kunst seiner stimmlich-darstellerischen Variabilität mit Glaubwürdigkeit und Leben erfüllen wird. Opernfreunde, was will man denn mehr?






 
 
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