In den letzten Jahrzehnten sind nur vier Aufnahmen
von „Aida“ entstanden – die letzte anno 2001 mit den Wiener
Philharmonikern unter Nikolaus Harnoncourt, dem es, trotz aller
farblichen Nuancierungen und Finessen der Phrasierung, nicht gelang, die
Aufmerksamkeit von den mit Ausnahme von Olga Borodina als Amneris
hoffnungslos überforderten Sängern abzulenken – „Aida“ ist schwerlich
eine Oper wie „Tristan“, die man nur wegen des Orchesters hören möchte.
Was die orchestrale Feinarbeit angeht, ist die neue Aufnahme mit dem
Chor und dem Orchester der römischen Accademia di Santa Cecilia
unter Antonio Pappano der unter Harnoncourt nicht nur ebenbürtig,
sondern dramatisch schlüssiger, weil der Dirigent sich nicht in
Detailaffektationen ergeht. Wobei hinzugefügt sei, wie seelennahe Stimme
und Oboe in Aidas Nil-Arie zusammenklingen (um nur ein Beispiel
anzuführen).
Entstanden ist die neue Aufnahme im Januar dieses
Jahres vor einer konzertanten Aufführung in dem von Renzo Piano erbauten
„Parco della Musica“ mit zwei Rollendebütanten, die von den Posaunen der
Publicity zum „Traumpaar des Verdi-Gesangs“ gekürt worden sind: Anja
Harteros und Jonas Kaufmann. Neben dem Dirigenten ist Kaufmann, der
weltweit die Lasten der großen Spinto-Partien zu schultern hat, die
„force majeure“ der dramatisch pulsierenden Aufführung. Dem energisch
deklamierten Rezitativ folgt eine wirklich amoroso durchglühte Romanze
mit dolce ausgeführten Quartsprüngen (zuerst C-F, dann D-fis)und einem
wirklich „con entusiasmo“ ausgeführten B (auf „trono“). Berückend die
sanft pianissimo ausklingenden Phrasen in der Reprise der Melodie (etwa
auf „fior“). Einfach prachtvoll, wie Kaufmann die forte beginnende
Phrase „ergerti un trono“ zum geforderten pppp diminuiert und das hohe B
der Schlussphrase – ohne Zwischenatmer nach „un trono“ – morendo
verklingen lässt. Für die emotionalen Kontraste des Duetts
„Aida“-Radamès findet Kaufmann im Allegro giusto den drängend
stürmischen Ton; im Andantino (ab „fuggir“) den schmerzlich
verzweifelten; im Allegro vivo den hymnisch ekstatischen; endlich den
heroischen, wenn er – „Sacerdote, io resto a te“ – dem Oberpriester drei
schmetternde As entgegenschleudert.
Dass die Auseinandersetzung mit Amneris, deren
besitzergreifende Liebe nach der Zurückweisung durch Radamès in
Verzweiflungshass umschlägt, zum dramatischen Höhepunkt wird, ist auch
das Verdienst der russischen Mezzo-Sopranistin Ekaterina Semenchuk. Sie
gehört nicht, wie bisweilen zu lesen war, zu den vokalen Flintenweibern,
sondern überzeugt gerade durch die Nuancen dynamischer Kontraste und den
Reichtum vokaler Farben, die situativ stets zwingend eingesetzt werden:
beim zärtlichen Liebeswerben um Radamès im ersten Akt wie beim
verzweifelten Kampf um den todeswilligen Radamès im vierten; ganz
besonders aber bei der lodernden Verfluchung der hartherzigen Priester.
Ihre Darstellung überzeugt mich mehr (ich wage es kaum zu schreiben) als
die der Aida durch Anja Harteros. Da es wenig angenehm ist, über kleine
Enttäuschungen zu schreiben (oder auch: sie zu lesen), sei mit den
Stärken der wunderbaren Sängerin begonnen. Es sind die sanften lyrischen
Phrasen und schwebenden Piani, wie man sie einst an Zinka Milanov
bewunderte. Das isolierte hohe C in der Nil-Arie leuchtet wie ein Stern
am nächtlichen Himmel. Ein weiteres Beispiel ist das Andantino im Duett
des dritten Aktes: „La, tra foreste vergini“ singt sie, wie von Verdi
gefordert, „estremamente p“ und doch so, dass es einen bebenden
seelischen Nachhall auslöst. Für die den Tod verklärende Idealität des
Schlussduetts findet sie herzergreifend-wehlautende Seelentöne. Was den
Amonasro von Ludovic Tézier angeht, so kehrten schon bei der ersten
Phrase – dem gehaltenen D auf „Suo padre“ – Sänger wie Leonard Warren
oder Robert Merrill ins Ohr der Erinnerung zurück; und schon gar nicht
verfügt er über die „acting voice“ eines Tito Gobbi, der mit Maria
Callas das Duett zwischen Aida und Amonasro zu einem Thriller gemacht
hat.
Zum Schluss der eine oder andere caveat. Einer davon
betrifft den „Ton“ von Jonas Kaufmann. Er ist, Folge oftmaliger
Rückverlagerung, nicht so klar definiert und nobel wie der von
Giovanni Martinelli, auch nicht so federnd wie der von Jussi Björling.
In höheren dynamischen Graden singt er nicht mit Fließ-, sondern mit
Pressphonation, die zu Vokalverfärbungen führt: etwa im Rezitativ vor
der Romanze auf dem hohen B („vin...to“) oder im Duett des dritten
Aktes, in dem das weiche hohe B auf „amori“ zu „amore“ wird. Den
kleinen Schluchzer auf dem G der Romanze („tu sei regina“) mag man als
Bemühung um „italianità“ ansehen, wenn es denn nicht ein Trick ist, um
sich schwierige Übergänge zu erleichtern. In der Tempelszene hat er in
Erwin Schrott keinen Partner, der für einen angemessenen vokalen
,Orgelpunkt‘ sorgt wie einst Ezio Pinza für Giovanni Martinelli. Ein
mächtiges F, das Schrott auf „morte“ gelingt, kann mit seinem wabernden
Ton und substanzarmen Singen in der tiefen Lage nicht überzeugen. Anja
Harteros hat keine XXL-Stimme wie die junge Renata Tebaldi oder Zinka
Milanov. In „Ritorna vincitor“ oder im Allegro vivo des Duetts aus dem
dritten Akt zeigt sich, dass sie für deklamatorische Passagen nicht über
die Reserven eines wirklichen Spinto-Soprans gebietet. Es gibt immer
wieder Forte-Akzente, bei denen ihre weiche lyrische Stimme scharf und
angestrengt klingt. Marco Spotti hat für den König keinen so
sonor-runden Bass aufzubieten wie Plinio Clabassi, Nicola Zaccaria oder
José van Dam. Kaum zu glauben aber, dass die blühend singende Eleonora
Buratto (Priesterin) zum Chor der Accademia di Santa Cecilia gehört.